Balsamico und Diamanten

Materialien zur Meinungsbildung

Manchmal, wenn es an der Tür klingelt, schrecke ich auf und bemerke so erst, was ich tue. Ich war dann ganz versunken, im flow. So ein Flow muss nicht mit einer sinnvollen Tätigkeit einhergehen. Neulich war ich damit beschäftigt, ein Preisetikett von meinem neuen Wäscheständer aus dem Baumarkt abzuknibbeln. (Dazu später mein Bonus-Tipp, bleiben Sie dran!). Gewiss, manche Preisetiketten zieht man einfach ab wie eine Haftnotiz. Aber dieses Etikett schien befestigt mittels einer ­Mixtur aus Fischleim, Pipi Langstrumpfs Spezialkleber und dem, was außen an einer bereits im Gebrauch befindlichen Balsamicoessigflasche klebt — nichts klebt ja mehr als eine im Gebrauch befindliche Balsamicoessigflasche. Aber überall klebt etwas: Essensreste auf den Tischen in »Stukkis’ Gyros-Tempel«, Halspastillen im Futteral von Oma Porz’ Handtasche und eben überall diese verflixten Preisetiketten zur Demütigung der Kundschaft. Was klebt, ruft oft Unmut hervor, nicht erst seit den Klimaklebern.

Dann aber las ich Erstaunliches: »Kleben statt Bohren« — so stand es ausgerechnet in einem Baumarkt-Prospekt, wo es doch unter Handwerkern verpönt ist, zu kleben. Sie dübeln und schrauben, sie nageln und tackern doch bloß. Aber »Klebenägel zur bohrlosen Befestigung von Objekten« — das klang verlockend! Ich habe schließlich Wände, die sind hart wie Diamant. Kein Handwerker vermag hineinzubohren. Ich weiß gar nicht, wo hinein Herr Schröder von nebenan samstags immer bohrt — in den Fußboden, in die Möbel, in irgendetwas, das ich nicht erahne? Er ist jedenfalls im Flow, und das muss nicht mit einer sinnvollen Tätigkeit einhergehen, wie gesagt.

Wenn schon ein Preisetikett auf dem Wäscheständer so hartnäckig war, welche Möglichkeiten böten dann diese Klebenägel! Ich malte mir Flachbildschirme und Wandleuchten, Ölgemälde und Gobelins in Petersburger Hängung aus. Moderne und Tradition würden sich an meinen Wänden vereinen!

»Wände aus Diamant! So ein Blödsinn!«, sagte Gesine Stabroth. Und jetzt riss sie mich aus dem Flow und stand mit Verstärkung vor meiner Wohnungstür: Gesine Stabroth und die Kiste mit dem Bohrhammer. Der Einsatz eines Bohrhammers ist die vorletzte ­Eskalationsstufe im Konflikt mit einer Wand. Danach kommt nur noch der Abrissbagger. Aber der Bohrer, den Gesine Stabroth in ihre Maschine gesteckt hatte, glomm alsbald feuerrot und fuhr bloß sinnlos und kaum noch zu bändigen über meine schöne Raufasertapete. Ich sagte: »Siehste! Sag ich doch: Geht nicht. Diamant! Ich kauf die Klebenägel, die kann man auch wieder ablösen, sie hinterlassen keinerlei Rückstände — im Gegensatz zu dem, was wir hier gerade veranstaltet haben.« Jetzt glomm auch Gesine Stabroth feuerrot, vor Wut.

»Selbst, wenn es Rückstände gibt — kein Problem!«, sprach ich aufmunternd und hatte meinen Tipp parat, auch hartnäckige Klebereste zu entfernen: mit einem Haartrockner föhnt man den Kleberest sehr ausgiebig, bis er nahezu flüssig ist, schubbert dann den Glibber ab und glättet das, was noch übrig bleibt, indem man es mit Handcreme scheinbar einmassiert. »Nur so als Tipp«, sagte ich. »Es ist ein Life Hack.« Gesine Stabroth starrte mich an. Dann sagte sie: »Das ist kein Life Hack. Das ist kranke Scheiße.« Sprach’s und war schon durch die Tür. Ich knibbelte weiter am Wäscheständer das Preisetikett ab, mit Haartrockner geht’s schneller, ja, aber es entsteht kein Flow. Und wie ich da so knibbelte und flowte, da dachte ich so für mich: Verbindung — wer kann sagen, wie es richtig ist? Mal soll es für immer sein, mal soll sie sich rückstandslos wieder lösen lassen. — Aber wie kam ich jetzt darauf?