Kratzen, kläffen, kuscheln
Köln ist eine Stadt mit knapp 1,1 Millionen menschlichen Einwohnern. Mit wie vielen Tieren sich die Kölner ihren knapp bemessenen Wohnraum teilen, ist unbekannt. Doch es gibt deutliche Anzeichen für einen regelrechten Haustier-Boom. Da ist der Kollege, der dem Drängen seiner Kinder endlich nachgegeben und zwei Katzen angeschafft hat. Oder die Freundin, die über eine »Dog-Sharing«-App zur Teilzeit-Hundehalterin geworden ist. Tierärzte berichten von Überlastung, und — auch das gehört zum Trend — die Tierheime in Köln arbeiten an der Belastungsgrenze. Gab es vor zehn Jahren rund 30 Millionen Haustiere in Deutschland, sind es heute 34,4 Millionen — ein Anstieg um fast 15 Prozent.
Woher kommt dieser große Wunsch nach einem Haustier? Der Psychologe Frank Nestmann hat in der Forschungsgruppe Mensch-Tier-Beziehung der TU Dresden zum Thema geforscht. »In der Pandemie war es oft das Haustier, das den Alltag strukturierte, weil es zu bestimmten Zeiten fressen oder rausgehen musste«, so Nestmann. »Wenn man ein Tier versorgen muss und kann, ist das gut für das Selbstwertgefühl und das Gefühl von Selbstwirksamkeit.« Und natürlich spiele Einsamkeit eine große Rolle: Vor allem Hunde zeigten ihren Haltern deutlich ihre Zuneigung. »Für viele alte Menschen wird das Haustier nach der Verwitwung zum wichtigsten Partner und auch zur einzigen Möglichkeit, Körperkontakt zu haben.«
Zudem seien Tiere weniger wertend, die Kommunikation mit dem Tier sei einfacher, direkter, vieles geschehe über Anfassen, Riechen und die Tonhöhe. »In der Interaktion mit Tieren haben Menschen deutlich weniger Ängste«, sagt Nestmann. Deshalb setzt man Tiere auch für therapeutische Zwecke ein, etwa in der sogenannten tiergestützten Intervention, zum Beispiel bei Autismus.
In Laborstudien habe sich gezeigt, dass das Zusammensein mit Haustieren die Ausschüttung sogenannter Stresshormone reduziere — »sogar stärker als beim Zusammensein mit Partner oder Partnerin«. Ihre positive Wirkung können die Haustiere jedoch nur entfalten, wenn die Halter frei von finanziellen Sorgen seien, so Nestmann: »Futter und Tierarzt sind teuer. Es führt zu menschlichem Leid, wenn die Menschen ihre Tiere nicht angemessen versorgen oder ihnen nicht helfen können, weil sie etwa eine Operation nicht bezahlen können.«
Erst seit wenigen Jahren beschäftigt sich die Forschung auch mit der Frage, wie sich die Mensch-Tier-Beziehung auf das Tier auswirkt. »Die Verhaltensbiologie hat sich lange dagegen gewehrt, bei Tieren so etwas wie Gefühle zu messen«, so Nestmann. Heute aber würden Hormonstudien etwa bei der tiergestützten Intervention auch an Tieren gemacht. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass durch die Interaktion der Cortisolspiegel auch beim Tier sinkt. Auch gibt es Hinweise, dass sich beim Streicheln der Herzschlag von Streichler und Gestreicheltem synchronisiert. »Aber wir wissen noch viel zu wenig darüber, was die Interaktion für die Tiere bedeutet.«
Eine der größten Tierarztpraxen Kölns liegt in Bayenthal, 32 Menschen arbeiten dort, darunter 14 Tierärzte. Geführt wird sie von Sabine Holland und Ralf Unna. Im Wartezimmer sitzt ein älteres Paar mit Hund, am Empfang wird gerade mit einem Tierheim telefoniert, es geht um ein verletztes Wildkaninchen.
Dann kommt Tierarzt Ralf Unna und bittet in einen der großen, hellen Praxisräume. Gerade hat er noch einen Hund operiert. »Hier«, sagt Unna und zeigt einen Eimer. »Das ist die Milz, und das war der Tumor. Fünf Zentimeter! Sie fallen ja nicht gleich um von so was, oder?« Schnell fügt er an: »Dem Hund geht’s wieder gut, der liegt im Aufwachraum und döst.« Unna räumt OP-Besteck von einem Stahltisch, der neben dem Behandlungstisch steht, und versprüht Desinfektionsmittel. »So, hier können wir uns hinsetzen.«
Ralf Unna und Sabine Holland haben die Praxis im Jahr 2005 übernommen; zuvor haben beide im Konrad-Adenauer-Tierheim in Zollstock gearbeitet, das Unna auch fünf Jahre leitete. »Wir behandeln alles, was Hund und kleiner ist«, sagt er. »Die Hälfte aller Patienten sind Hunde, dazu kommen 30 Prozent Katzen. Der Rest verteilt sich auf alles andere.« Als externe Tierärzte für das Zollstocker Tierheim behandeln Unna und seine Kollegen aber auch mal Ziegen, Schafe oder Schweine. »Wir hatten hier auch schon Papageien oder einheimische Wildtiere. Auch ein Erdferkel haben wir mal durchs CT gefahren.« Gerade ist ein junges Wildkaninchen zu Gast, erzählt Unna. Eine Kollegin nehme es nachher mit nach Hause, um es Tag und Nacht zu pflegen.
In dreißig Jahren als Tierarzt hat Unna einiges erlebt — mit den Tieren und mit den »Patientenbesitzern«, wie man hier sagt. »Da gibt es Menschen, die mit bester Intention, aber frei von Fachwissen und Sachkunde, irgendetwas mit ihrem Tier machen«, sagt Unna. »Eine Dame aus Marienburg meinte mal, ihr Hund habe da etwas am Unterbauch — sie habe schon versucht, es mit der Zange zu entfernen. Sie zeigte mir das, und ich sagte ihr, sie möge das bitte unterlassen. Es handelte sich um eine Brustwarze.«
Auch bei der Ernährung hat das, was gut gemeint ist, oft schlechte Folgen für die Tiere. »Übergewicht sehen wir leider fast täglich«, sagt Unna. »Erst heute Morgen in der Sprechstunde mussten wir wieder darauf hinweisen, dass Tiere nicht übermäßig gefüttert werden dürfen.« Immerhin sei die Qualität von Tierfutter besser geworden, so Unna. »Firmen, deren Schwerpunkt Tiernahrung ist, müssen schon darauf achten, dass sie gute Qualität anbieten. Ein Skandal hätte im Zweifelsfall den wirtschaftlichen Ruin zur Folge.« Ein größeres Problem sei es, wenn Menschen ohne Fachkenntnisse selbst Tierfutter zusammenstellen »oder wenn einzelne Metzger ohne vernünftige Qualitätskontrollen Barf-Mischungen tiefgefroren und im Sommer gelegentlich angetaut durch die Republik schicken.« Barf bedeutet »bones and raw foods« (»Knochen und rohes Futter«) und zielt auf die Abkehr von Industrienahrung, hin zu einer ursprünglichen, artgemäßen Ernährung. Barf kann Tieren aber auch schaden, etwa bei zu hohem Anteil von Knochenschrot oder zu wenig Jod.
»Barfen gab es schon früher, da hieß das noch Fahr-mal-zum-Schlachthof-und-hol-was-für-den-Hund«, so Unna. Wer seinen Hund barfen wolle, solle aber professionelle Hilfe suchen. »Barf ist ein riesiges Thema und für manche Hunde wirklich sehr hilfreich und gut, aber wer glaubt, er könne sich das Wissen darüber in ein paar Stunden zusammengooglen, hat beste Chancen, seinen Hund kaputtzufüttern.«
In seiner Praxis ist Unna auch mit Trends konfrontiert, die gravierender sind und die ihn auch als Vizepräsidenten des Landestierschutzverbandes NRW betreffen. Auch wenn das Bewusstsein für Tierwohl in den vergangenen Jahren zugenommen habe, gebe es immer wieder Moden, die dem zuwiderlaufen.
»In der Pandemie war es oft das Haustier, das den Alltag strukturierte, weil es zu bestimmten Zeiten fressen oder rausgehen musste«Frank Nestmann, Psychologe
»Momentan sehen wir hier viele kurznasige Hunde«, sagt Unna. Brachycephalie lautet der Fachbegriff für diese angezüchtete Deformation des Schädels. Typische Beispiele sind der Mops oder die Französische Bulldogge. »Die Nasen sind zu eng, die Luftröhren deformiert, die Gaumensegel zu groß und die Mandeln oft eitrig und entzündet«, sagt Unna. Wie ist das für einen Tierschützer, diese von Menschen so zugerichteten Tiere behandeln zu müssen? »Wir würden auf diese Art Umsatz gerne verzichten«, sagt Unna. Er verweist auf Kollegen, die sich zuletzt weigerten, solche Qualzuchten zu behandeln. Ralf Unna behandelt diese Tiere zwar, unterstützt aber ein Verbot solcher Zuchten. »Das ist eine Forderung, die wir als Landestierschutzverband schon lange stellen.« Früher seien es Disney-Filme wie »101 Dalmatiner« gewesen, die Trends beim Haustierkauf gesetzt hätten, sagt Unna, »Heute sind es Influencer auf Social Media. Beides war und ist schlimm.«
Sylvia Hemmerling vom Tierheim Dellbrück kann das bestätigen. »Irgendwelche Influencer präsentieren auf ihren Kanälen ihren Spitz-Welpen, und dann will die ganze Welt so einen haben — und wenn man ihn sich illegal aus dem Ausland kommen lassen muss.«
Im Tierheim ist so viel zu tun, dass für einen Besuch vor Ort keine Zeit ist, aber nach Dienstschluss kann Sylvia Hemmerling telefonieren. Das Tierheim in Dellbrück gibt es seit 1967, es ist neben dem in Zollstock das zweite in Köln. Betrieben wird es vom »Bund gegen den Missbrauch der Tiere«, der zehn Tierheime in Deutschland unterhält. In Dellbrück leben derzeit gut hundert Hunde, achtzig Katzen und etwa hundert Kleintiere, sagt Hemmerling. Aber auch Wildtiere seien zu Gast. »Im Moment versorgen wir viele Igel, die irgendwo im Keller sitzen und uns gebracht werden, aber auch Täubchen oder Wildvögel, die gefunden wurden.«
»Der allerschlimmste Trend sind derzeit Scottish-Fold-Katzen«, sagt Hemmerling. »Das ist eine Qualzucht — die Tiere haben die Ohren nach vorne geknickt. Sie haben viele genetische Defekte, können im schlimmsten Fall kaum laufen, sitzen oder selbstständig Kot absetzen, sie sind schwer krank«, so Hemmerling. »Das ist Tierquälerei — aber bei Instagram heißt es: Oh, was für süße Öhrchen.« Eine Tierärztin des Tierheims habe gerade eine Scottish Fold zu Hause in Pflege. »Sie muss ihr jeden Tag manuell den Darm entleeren.«
Hemmerling findet es nicht nur frustrierend, wie manche Menschen mit Tieren umgehen. Es mangele auch an Tierschutzgesetzen. »Es fängt schon damit an, dass es nicht unterbunden werden kann, auf Online-Portalen Tiere anzubieten.« Trotzdem will sie in den Sozialen Medien des Tierheims nicht nur schlechte Laune verbreiten. So gibt es auch regelmäßig »Glücksgeschichten« über Tiere, die ein Zuhause gefunden haben. Auf Instagram ist Dellbrück das Tierheim mit den meisten Followern in ganz Deutschland. »Ich versuche in das Thema Tierschutz auch Witz und Leichtigkeit reinzubringen, damit niemand denkt, bei uns würde den ganzen Tag nur geweint.«
Doch die Lage ist angespannt. »Wir erhalten Anrufe und Mails aus ganz Deutschland von Menschen, die ihre Tiere bei uns abgeben wollen«, sagt Hemmerling. Viele Haustiere, die während der Corona-Pandemie angeschafft wurden und zunächst viel mit ihren Besitzern zusammen waren, müssen jetzt wieder vermehrtallein sein. Das führe immer wieder zu Problemen, und anstatt mit dem Tier zu arbeiten, wolle man es dann lieber loswerden, so Sylvia Hemmerling.
Wie die Menschen in Köln mit Tieren und Haustieren umgehen und wie sich das Verhältnis im Laufe der Jahrhunderte gewandelt hat, davon erzählt auch die Ausstellung »Geliebt, gehasst, gegessen — Kölner Tiere zwischen Käfig und Körbchen« im Historischen Archiv am Eifelwall, die noch bis Anfang Mai zu sehen ist. Kuratorin Fanny Haker hat dafür Material wie Fotografien, Verwaltungsakten oder Plakate von Tierschutzorganisationen zusammengetragen. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich so viele Bilder finde, über die sich ein so inniges Gefühl zwischen Mensch und Haustier vermittelt«, sagt Haker. »Wenn ich ein Bild von 1900 sehe, auf dem ein Hund mit Brille und Büchern drapiert wird, erkenne ich: Der Hund war schon damals mehr als das Nutztier, das Ratten fressen und den Hof verteidigen soll.« Gleichzeitig aber zeigt der Beschwerdebrief einer Kölnerin aus dem Jahr 1997, wie schnell sich das Bewusstsein wandeln kann: Die Bürgerin beklagt sich darin über den sogenannten Taubenmarkt im Severinsviertel, auf dem Kaninchen, Frettchen, Tauben, Hühner und andere Vögel »in engsten Käfigen« zum Verkauf angeboten wurden — noch Ende der 90er Jahre.
»Der allerschlimmste Trend sind derzeit Scottish-Fold-Katzen. Das ist eine Qualzucht — die Tiere haben die Ohren nach vorne geknickt«Sylvia Hemmerling, Tierheim Dellbrück
Und dass Menschen ihr Haustier verhätscheln und zum Hundefriseur schicken, aber nicht auf das tägliche Schnitzel aus der Massentierhaltung verzichten — auf diesen Widerspruch weist die Ausstellung ebenfalls hin, mitunter mit drastischem Material. »Ich will niemanden schocken, aber das gehört zur Mensch-Tier-Beziehung einfach dazu«, sagt Haker. Sie selbst ernährt sich vegan und hat kein Haustier: »Denn ich bin nicht oft genug zu Hause, um mich zu kümmern.« Tierliebe kann auch bedeuten, auf ein Haustier zu verzichten.
»Ich wollte immer Tierarzt werden«
Tierschützer und Tierarzt Ralf Unna über sein Leben mit und für Tiere
Ich hatte nie einen anderen Wunsch, als Tierarzt zu werden. Ich bin zwar Stadtkind, aber mit Tieren groß geworden und als Kind auch schon geritten. Anfangs hatte mein Wunsch nur mit Tierliebe zu tun. Später traten der medizinische und wissenschaftliche Aspekt hinzu. Ich wurde nach dem Studium über Wildtiere promoviert, habe dann für die Bundestierärztekammer in Bonn gearbeitet und war Redakteur fürs Deutsche Tierärzteblatt. Nach drei Jahren wurde mir das zu langweilig. So bin ich aus einem beamtenähnlichen Verhältnis ausgestiegen und Leiter des Tierheims in Zollstock geworden. Dort musste ich rund 30 Leute organisieren. Damals ging es noch nicht so professionell zu wie heute. Es gab nicht nur Tierpfleger, sondern auch Angelernte, oft mit schwierigem Hintergrund. Die waren alle tierlieb, aber nicht durchgehend menschenlieb. Eine Katzenpflegerin ist mal auf eine Dame losgegangen, die im Nerzmantel erschien und sich für ein bestimmtes Tier interessierte. Nerz zu tragen, finde ich auch nicht in Ordnung, aber man muss jemandem deshalb nicht zwingend die Tür vors Gesicht hauen. Es war anstrengend, aber sehr lehrreich damals — gerade bei den Themen Personal- und Budgetverantwortung.
Auch nach dem Job bin ich von Tieren umgeben. Unsere Hündin stammt aus dem Tierheim. Ich musste an einem verregneten Sonntag vor einem Jahr ins Tierheim und hab den »entscheidenden Fehler« gemacht und meiner Familie gesagt: »Kommt doch mit, ich muss Schnupfen-Katzen ein Antibiotikum spritzen.« Als ich fertig war, meinte meine Frau: »Jetzt gehen wir mal zu den Hunden«. Ich versuchte das noch abzuwenden:
»Nee! Da ist es laut und es stinkt, lass mal!« Aber wir sind hin — das Ergebnis ist unsere Hündin, die sich im Tierheim sofort bestens mit unserer zweieinhalbjährigen Tochter verstand. So lebt jetzt Kiwi bei uns. Im Nachhinein ein Segen für die Kinder, weil unsere bisherige 14-jährige Hündin bald danach leider eingeschläfert werden musste. Dass schon ein anderer Hund bei uns war, hat den Kindern geholfen. Wir haben noch eine Katze aus dem Tierheim, die aber im Garten lebt und sich jetzt beim Nachbarn einquartiert hat. Wir haben auch zwei Karnickel aus dem Tierheim, und dann ist da noch mein Pferd Oskar, aber ich komme kaum noch zum Reiten. Wenn mich jemand fragt, wie ich das mit all den Tieren schaffe, muss ich sagen: Allein gar nicht, fragen Sie meine Frau! Morgens ist es Sarah, die mit dem Hund rausgeht. Es geht nur als Team, in der Familie und in der Praxis.
Protokoll: Bernd Wilberg
»Katzen beehren den Menschen mit ihrer Anwesenheit«
Floris Biskamp, Hrvoje Hlebec und Dania Iskenius über ihr Leben mit den Katern Tony und Paulie
Die Katzen leben seit Herbst 2021 in unserer WG. Sie heißen Tony und Paulie, zwei Kater. Hrvoje hat sie von uns und seiner Schwiegermutter zum Geburtstag geschenkt bekommen— aber natürlich nicht einfach auf Verdacht! In der WG haben schon früher mal Katzen gelebt.
Als Paulie und Tony dann hier wohnten und die ersten toten Mäuse aus dem Garten anschleppten, waren wir nicht geschockt: Wir kannten das schon. Auch Vögel und Kaninchen haben sie schon getötet, einmal sogar eine Fledermaus. Sehr beeindruckend war auch die Nosferatu-Spinne! Aber als die Katzen in einer Woche mal zwei Eichhörnchen gebracht haben, waren wir echt sauer. Wir mögen Haustiere, aber wir mögen es auch, wenn im Garten Wildtiere herumtollen. Und man hat schon gemerkt, dass in unserem Garten wesentlich mehr Betrieb war, als in unserer WG mal eine Zeitlang keine Katze lebte. Aber jetzt haben Tony und Paulie ihr Terrorregime dort errichtet und im Garten ist weniger los: Die Vögel und Eichhörnchen wissen offenbar, wo sie besser nicht abhängen.
Mit den Mäusen ist es oft eine sehr blutige Angelegenheit. Die werden hoch ins Schlafzimmer gebracht und dann wird da noch mit denen gespielt. Das ist nicht schön. Aber trotz allem freuen wir uns auch für die Katzen. Denn man merkt, dass ihnen das guttut. Und wir können mit den Tiermorden besser leben, weil wir die Katzen aus dem Tierschutz geholt haben, von einer Frau, die Straßenkatzen in ihrer Wohnung aufpäppelt. Sie waren ein halbes Jahr alt, als sie zu uns kamen. So fällt es uns auch leichter, den Katzen Tag für Tag die Fleisch- und Fischdosen aufzumachen, obwohl wir WG-Bewohner uns alle seit vielen Jahren vegetarisch ernähren. Katzen sind nun mal Fleischfresser, und für uns war klar: Das gehört zu Katzen dazu. Zum Glück essen sie am liebsten Geflügel und Fisch, das ist fürs Klima nicht ganz so schlimm.
Katzen sind autonomer als Hunde. Hunde sind viel stärker auf einen angewiesen, Katzen dagegen beehren den Menschen mit ihrer Anwesenheit. Das ist viel reizvoller. Nichts gegen Hunde, aber wir finden Katzen interessanter. Wenn man Hunden nicht beibringt, sich unterzuordnen, ist das für die Mitmenschen uncool. So autoritär aufzutreten, fänden wir unangenehm.
Das heißt aber nicht, dass man Katzen nichts beibringen kann. Unsere haben gelernt, nicht mehr auf die Tische und die Ablagen zu gehen, jedenfalls meistens. Paulie kann sogar High-Five geben. Und sie haben gelernt, dass wir ihnen die Tür aufmachen, obwohl sich direkt daneben die Katzenklappe befindet. Wenn sie allerdings eine Maus dabei haben, nehmen sie komischerweise immer den Weg durch die Katzenklappe!
Man merkt unseren Katzen an, dass sie die ersten Wochen ihres Lebens auf der Straße verbracht haben. Sie sind nicht so zutraulich. Tony und Paulie lassen sich zwar manchmal kraulen, aber sie sind schon sehr misstrauisch, vor allem Fremden gegenüber. Paulie ist offensiver, kräftiger und forscher, während Tony ängstlich ist.
»Jetzt haben Tony und Paulie ihr Terrorregime im Garten errichtet und die Vögel und Eichhörnchen wissen, wo sie besser nicht abhängen«
Katzen sind aber auch einfach niedlich, haben Fell und schnurren. Es ist schön, nach Hause zu kommen und zu sehen, wie sie sich freuen. Und es ist interessant, sich mit dem Unterschied im Denken und Fühlen zwischen Mensch und Tier zu beschäftigen. Es gibt doch recht viele Überschneidungen. Man kann gut sehen, wie äußerliche Zustände sich auf die psychische Verfasstheit von Tony und Paulie auswirken. Wenn es regnet oder kalt ist, sind sie genervt, weil ihnen der Auslauf fehlt, und das lassen sie an uns aus. Dann muss die Couch oder auch mal eine Hose herhalten. Sie werden dann auch wählerischer beim Fressen und brauchen etwas, was ihnen geil schmeckt. Das ist wie bei uns, wenn wir uns »was Gutes tun« wollen. Natürlich gibt es deutliche Unterschiede zwischen Mensch und Tier, aber zum Teil bilden Menschen sich auch zu Unrecht ein, etwas besonderes zu sein.
Protokoll: Anne Meyer
»Ein Zeichen aus dem Hundehimmel«
Eva Mona Altmann über ihren Hund Peti aus dem Tierheim
Peti ist mein dritter Hund und seit Ende Juli bei mir. Er ist eingezogen, kurz nachdem meine Hündin Ronja starb. Ich wollte irgendwann wieder einen Hund, aber eigentlich nicht so schnell. Nach Ronjas Tod haben ein paar Freundinnen eine kleines Beisammensein an einem See organisiert, um mit mir von Ronja Abschied zu nehmen. Wir saßen auf einer Decke und hatten in der Mitte ein paar Fotos ausgelegt. Da kam plötzlich eine Hündin angelaufen, setzte sich zu uns — direkt auf die Fotos von Ronja! Die Hündin hatte kein Halsband an, war allein und total verfilzt. Sie blieb den ganzen Abend bei uns, ich habe sie dann mit nach Hause genommen und gedacht: »Das ist ein Zeichen, das mir aus dem Hundehimmel geschickt wurde«. Am nächsten Morgen habe ich sie ins Tierheim gebracht, weil ich dachte, womöglich wird sie verzweifelt gesucht. Sie war gechippt und hieß ausgerechnet: Angel! Weil Angel aus schwieriger Haltung kam und mitunter beißt, wollte das Tierheim sie noch nicht vermitteln. Ich besuchte Angel öfters und habe mich dann dort in Peti verguckt. Peti ist mein erster Rüde und ich habe ihn eine Woche lang jeden Tag ausgeführt, bevor ich ihn fest mitnehmen durfte. Peti kommt aus Ungarn, ist ungefähr drei Jahre alt und hat viel Blödsinn im Kopf. Ein kleiner Wirbelwind. Im Büro hat er beim ersten Besuch das Netzwerkkabel durchgeknabbert und wir hatten kein Internet mehr.
»Es klingt jetzt ein bisschen pathetisch, aber irgendwie hat Peti die Freude in mein Leben zurückgebracht«
Es klingt jetzt ein bisschen pathetisch, aber irgendwie hat Peti die Freude in mein Leben zurückgebracht. Es war sehr schwer, Ronja gehen zu lassen, obwohl sie mit fast 17 Jahren schon sehr alt war. Nach ihrem Tod hatte ich irgendwie gar keinen schönen Grund mehr, nach Hause zu kommen, niemand hat dort auf mich gewartet. Mir hilft Peti tatsächlich bei meiner Selfcare: dass ich nicht zu viele Überstunden mache, dass ich Pause mache, im Wald spazierengehe. Peti erdet mich. Weil er so quirlig ist und immer irgendwelchen Blödsinn macht, bekomme ich gute Laune. Wenn man für einen Hund verantwortlich ist, kann man sich nicht gehen lassen, selbst wenn man mal traurig ist. Man muss an die frische Luft, egal bei welchem Wetter. Peti und ich gehen unter der Woche jeden Tag zwischen fünf und sieben Kilometer spazieren. Ein Hund aus dem Tierheim kann schon eine Wundertüte sein, er hat ja eine Vorgeschichte, die sich vielleicht erst später zeigt. Aber man sagt auch, dass Tierheimhunde besonders dankbar seien, wenn sie ein Zuhause bekommen. Ich hatte auf jeden Fall großes Glück! Wenn ich Saxophon spiele, sitzt er neben mir und singt voller Inbrunst mit — sogar im Takt! Aber auch nicht bei allen Stücken. Wir passen gut zusammen und werden hoffentlich gemeinsam viele Abenteuer erleben.
Protokoll: Anja Albert