Gewaltschutz vor dem Kollaps
»Es geht um Leben und Tod«, sagt Angélica Reyes, Mitarbeiterin der Kölner Beratungsstelle Agisra. »Jede Frau, die nicht umgehend eine Beratung bekommt, ist ein potenzielles Mordopfer.« Diese Worte sind eine Warnung — und ein Appell. Seit mehr als 30 Jahren unterstützt die Initiative Migrantinnen und geflüchtete Frauen, die von Gewalt oder Diskriminierung betroffen sind. Doch die Zukunft von Agisra ist ungewiss. Die Stadt Köln plant ab 2025 drastische Kürzungen im städtischen Haushalt: Der »Zuschuss für Frauenprojekte«, der seit 30 Jahren kleine, autonome Frauenprojekte unterstützt, soll komplett gestrichen werden.
Dabei steigt der Bedarf jährlich — 2021 haben die Mitarbeitenden von Agisra 670 Beratungen durchgeführt, 2023 schon 1270. Dennoch soll der Zuschuss aus dem »Frauentopf« von zuletzt 80.000 Euro, die zur Deckung von Strom-, Miet- und Betriebskosten nötig sind, gestrichen werden; zudem soll eine halbe Personalstelle für die Beratung von Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, wegfallen. »Ohne diese Mittel können wir unsere Arbeit nicht fortsetzen«, warnt Reyes. Agisra ist die einzige Inititative in Köln, die Unterstützung in verschiedenen Sprachen anbietet. Sollte sie schließen, entstünde eine Versorgungslücke für Frauen mit sprachlichen oder kulturellen Barrieren.
Neben Agisra sind drei weitere Initiativen von der Streichung des »Frauentopfes« betroffen: Die Frauenberatungsstelle FrauenLeben, das Frauengesundheitszentrum Hagazussa und der Verein Frauen gegen Erwerbslosigkeit. »Wie sollen wir ohne den städtischen Zuschuss von 60.000 Euro Miete und Strom bezahlen?«, fragt Margret Schnetgöke von FrauenLeben. Auch weitere Projekte in Einrichtungen wie der Lobby
für Mädchen und dem Handwerkerinnenhaus stehen auf der Streichliste, ebenso wie zwei Koordinierungsstellen bei »Edelgard«, dem Projekt gegen sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum, je eine Personalstelle im 1. Frauenhaus und im Verein Paula, der Frauen ab 60 Jahren berät. Insgesamt geht es um Kürzungen in Höhe von 720.000 Euro.
Die kleinen Initiativen sehen sich — auch in Abgrenzung zu den großen Wohlfahrtsverbänden und konfessionellen Trägern — besonders von den Kürzungen betroffen. »Es geht um unsere Existenz«, sagt Schnetgöke. Die Frauenärztin Maria Beckermann, die im Vorstand von FrauenLeben tätig ist, fordert eine Regelfinanzierung: »Gewalt an Frauen ist kein privates, sondern ein öffentliches Problem und der Schutz davor muss auch mit öffentlichen Geldern und nicht als freiwillige städtische Leistung oder über Spenden finanziert werden.« Zumal eine Studie des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (EIGE) die gesellschaftlichen Folgekosten geschlechtsspezifischer Gewalt für Deutschland auf ca. 54 Milliarden Euro pro Jahr schätzt. »Gelder im Hilfesystem zu streichen ist nicht nachhaltig und perspektivisch um ein Vielfaches teurer für die öffentliche Hand«, sagt Beckermann.
Gewalt an Frauen ist ein öffentliches Problem und der Schutz davor muss auch mit öffentlichen Geldern finanziert werdenMaria Beckermann, Frauenleben
Auch das Amt für Gleichstellung sorgt sich vor dem Zusammenbruch der Kölner Frauenhilfe. »Der Haushaltsentwurf bringt große finanzielle Schwierigkeiten und massive Einschränkungen im Bereich Gewaltschutz mit sich. Er stellt eine Herausforderung für uns dar, weil Strukturen wegbrechen könnten, was mit Blick auf die aktuellen BKA-Zahlen eine beängstigende Vorstellung ist«, sagt die Gleichstellungsbeauftragte Julia Pedersen. Laut aktuellem BKA-Lagebericht steigen die geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Straftaten in allen Bereichen: So starben im vergangenen Jahr 360 Mädchen und Frauen durch die Gewalt ihres Partners oder Ex-Partners. Mehr als 52.000 Sexualstraftaten wurden registriert — ein Anstieg von 6,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr; die digitale Gewalt an Frauen und Mädchen stieg um ein Viertel, die häusliche Gewalt um 5,6 Prozent.
Die Initiativen wollen die Kürzungen nicht kampflos hinnehmen und haben Widerstand angekündigt. Mit offenen Briefen, Petitionen und Demonstrationen fordern sie ihre Rücknahme, gerade in Zeiten des erstarkenden Anti-Feminismus. Dabei werfen sie den Verantwortlichen mangelnde Prioritätensetzung vor. »Es ist ein Unterschied, ob man bei Opernbauten oder beim Gewaltschutz kürzt«, sagte Angélica Reyes von Agisra. Die Entscheidung liegt nun bei den Ratsmitgliedern, die im Februar über das Überleben der Projekte abstimmen werden. Für viele Frauen könnte diese Entscheidung lebensrettend sein. Oder eben nicht.