»Arme Anhängsel des Staats«
Herr Hentschel, in Köln stehen große Kürzungen im Haushalt an. In dem Kontext fällt immer wieder die Aussage, dass die Kommunen, also auch Köln, ein »Ausgabenproblem« haben. Wie sehen Sie das?
Das sehe ich nicht so. Der Anteil der Kommunen an den Staatsausgaben in Deutschland liegt bei 16 Prozent. In Dänemark liegt er dagegen bei 65 Prozent, in Schweden und der Schweiz bei über 50. Das Problem ist, dass die deutschen Kommunen die armen Anhängsel unseres Gesamtstaats sind. Sie sind von sich aus kaum handlungsfähig. Wesentliche Aufgaben können sie nur gemeinsam mit dem Bund oder der EU finanzieren und hängen deshalb auch an deren Vorgaben.
Was machen denn diese Länder anders als Deutschland?
Dänemark ist am interessantesten. Dort sind die Kommunen der Hauptträger des Staats. So sind sie zum Beispiel für die Schulen, das Gesundheitswesen und auch die Arbeitsvermittlung zuständig. Die hat dann einen viel besseren Kontakt zu den Unternehmen vor Ort, als wenn man das zentral bei der Arbeitsagentur in Nürnberg macht. Dänemark hat die höchsten Steuereinnahmen der Welt und anders als in Deutschland erhalten die Kommunen einen Großteil der Einkommenssteuer, während die Gewerbesteuer an die Zentralregierung geht. Und mit diesen zentralen Steuern wird dann unter anderem ein Ausgleich zwischen reichen und armen Kommunen hergestellt, so dass zwischen ihnen keine Konkurrenz um reiche Bürger:innen herrscht.
Es bedarf einer gemeinensamen Initiative der Kommunen und Länder für eine grundsätzliche Änderung der FinanzverteilungKarl-Martin Hentschel, Attac
Attac hat ein Steuerkonzept geschrieben, das für Deutschland ein ähnliches System vorsieht. Eines Ihrer Argumente ist, dass die höheren Ausgaben der Kommunen in Dänemark oder Schweden auch die Demokratie stärken. Das leuchtet mir jetzt nicht sofort ein…
Die Menschen sind viel eher bereit, Steuern für die Kommune, für Schulen oder Altenheime und so weiter zu zahlen als an den Zentralstaat, weil sie dann sehen, dass die Steuern in ihrer Nachbarschaft verwendet werden und weil sie über diese Verwendung vielleicht auch noch mitbestimmen können.
Die Stadt Köln verzichtet nach Protesten auf Steuererhöhungen. Ursprünglich sollte die Grundsteuer steigen, die Gewerbesteuer aber nicht. Ist das eine schlaue Taktik?
Wahrscheinlich ja. Das Problem bei der Gewerbesteuer ist, dass man verhindern muss, dass die Firmen in Steueroasen im Umland abwandern, zum Beispiel nach Monheim, wo der Gewerbesteuerhebesatz niedriger ist. Dort gründen sie dann eine Zentrale und versteuern die Gewinne, obwohl weiter in Köln produziert wird. Wir von Attac fordern deshalb eine Gesamtkonzernsteuer, die schaut, wie hoch der Anteil einer einzelnen Niederlassung am Konzernergebnis ist und dann entsprechend darauf Steuern am Standort erhebt. Übrigens ist das nicht nur Theorie. Bei den Windkraftanlagen wurde auf Antrag von Schleswig-Holstein die Steuerverteilung so geregelt, dass 75 Prozent der Gewinne am Ort der Anlage versteuert werden und nicht am Sitz der Gesellschaft in Süddeutschland.
Glauben Sie denn, dass sich die Kommunalfinanzen kurzfristig verbessern lassen?
Ich hoffe es. Aber zurzeit sieht es nicht so aus. Das müsste durch Bundesgesetze geregelt werden. Dazu bedarf es einer gemeinsamen Initiative der Kommunen und Länder gegenüber dem Bund für eine grundsätzliche Änderung der Finanzverteilung. Die Kommunalverbände der Städte, der Kreise und der Gemeinden streiten sich aber eher untereinander oder kämpfen gegen die Länder. Auch sind die Verbände stark parteipolitisch orientiert und grundsätzliche Änderungsvorschläge werden in der Regel von den entsprechenden Bundesparteien ausgebremst. Wir brauchen deshalb — aber auch aus anderen Gründen — eine Debatte über das Gesamtsteuersystem. Mittlerweile ist die Besteuerung von Einkommen und Vermögen in einem Maße absurd geworden ist, das Sie sich kaum vorstellen können.
Karl-Martin Hentschel war Fraktionsvorsitzender der Grünen in Schleswig-Holstein und ist heute für Attac im Vorstand des Netzwerk Steuergerechtigkeit aktiv.
Buch:
Karl-Martin Hentschel / Alfred Eibl: »Steuer-Revolution!«
VSA, 196 Seiten, 16,80 Euro