Nach dem Konzert ist vor dem Konzert: Urs Benedikt Müller im Loft

Der Groove der Infrastruktur

200 Konzerte im Jahr zum Einheitspreis — die Jazz-Kultur, die das Loft pflegt, ist einzigartig

Die Frau runzelt die Stirn und schnauft — so viele Treppen gestiegen und immer noch nicht da. Die Leute hinter ihr rufen ihr zu, noch ein Stockwerk, ist gleich geschafft. Erst im dritten und letzten Stock dieses alten Ehrenfelder Industriegebäudes liegt das Loft, das die Dame an diesem Abend offensichtlich zum ersten Mal besucht. Das sind, zugegeben, nicht viele Stockwerke, aber es gibt eben auch keinen Kölner Konzertort — zumindest nicht von dieser Größe —, der so weit oben gelegen ist. Im Sommer schaut man vom Konzertsaal aus über die Dächer Ehrenfelds. Und dann noch ein Runzler: Die Tür ist zu. Ob man klingeln muss? Muss man nicht, aber die Tür schon etwas beherzter aufstoßen. Und dann …

Dann ist man schon mittendrin: Es gibt eigentlich nur zwei große Räume (und auch noch ein Tonstudio, das aber nicht für die Öffentlichkeit zugänglich ist), einen Empfangssaal mit Theke und Sofaecke und rechts davon der Konzertsaal. Alles ist holzverkleidet, alles ist in Eigenregie verarbeitet. Nur eine Glastür trennt die beiden Räume, die Atmosphäre ist offen, nahbar, direkt. Strenggenommen gibt es keinen Backstage, die Musiker sind immer anwesend, stehen häufig an der Theke, die Stimmung ist gelöst, man kennt sich oder lernt sich gerade kennen. Meistens ist hier nur einer wuselig zwischen Theke, Kasse und Bühne unterwegs — das ist Urs Benedikt Müller, künstlerischer Leiter des Lofts, Booker, Marketingchef, Produktionsleiter und Stagehand in einem, oder wie er von sich selbst sagt: »Ich bin eben der einzige Angestellte von 2nd Floor e.V., der im Loft die Konzerte organisiert.«

Das Loft ist einer der wichtigsten Konzertorte Kölns, hat mehrere Spielstättenpreise gewonnen (auch dieses Jahr) und 2021 und 2023 den Deutschen Jazzpreis, der britische Guardian wählte 2016 das Loft zu den zehn wichtigsten Orten für Jazz in Europa. Seitdem hat Müller auch noch die ein oder andere britische Touristengruppe betreut, die plötzlich vor der Tür stand. Müller — der Name ist sehr eng mit dem Ort verbunden, weil Hans Martin Müller das Loft vor 35 Jahren ins Leben rief. Er ist der Vater von Urs Benedikt, der 2017 hauptberuflich ins Loft eingestiegen ist. Der promovierte Biologe hat dafür seine wissenschaftliche Karriere (vorerst) aufgegeben. »Wir hatten 2017 einen Betriebskostenzuschuss (BKZ) der Stadt Köln von 50.000 Euro im Jahr, davon musste unter anderem eine halbe Stelle für mich finanziert werden. Als Biologe habe ich damals mehr als das doppelte verdient.« Trotzdem war der Jobwechsel eine rationale Entscheidung, wie er im Interview darlegt: Um sich weiter als Wissenschaftler zu etablieren, hätte er ins Ausland gemusst, eine Ochsentour mit Lehrverpflichtungen und Fachpublikationen hätte angestanden, das wollte er seiner Familie und sich nicht antun.

Ist das Loft ein Familienbetrieb? Da gibt es sicher eine emotionale Komponente, weil Müller schon als Kind hier gespielt hat, während nebenan die Bands auftraten. Aber strenggenommen trifft weder das eine noch das andere zu, also weder »Familie« noch »Betrieb«: Zum einen wird der Konzertbetrieb im Loft vom Verein 2nd Floor gestemmt, der Urs Benedikt angestellt hat. Dieser Verein mietet von Hans Martin Raum und Instrumente und ist an und für sich nicht kommerziell ausgerichtet. Und zum anderen fallen die Mietkosten gering aus;  zudem werden alle Investitionen, Reparaturen, Wartungen und Heizkosten vom Vermieter bezahlt. Hans Martin Müller verfolgt also auch keine betriebswirtschaftlichen Interessen. »Wir veröffentlichen seit 2019 unsere Jahresabschlüsse auf unserer Homepage, Ein- und Ausgaben sind so für alle absolut transparent nachzuvollziehen«, sagt Urs Benedikt. Die Getränke in der Pause werden fast zum Selbstkostenpreis verkauft und der Eintritt, der konsequent für jedes Konzert gilt, liegt bei 14 Euro und geht komplett an die Musikerinnen und Musiker.

2019 verdoppelte sich der BKZ, seitdem hat Müller eine volle Stelle. Was sich darin nicht widerspiegelt: die Arbeitszeit. Nicht selten hat er 12-Stunden-Schichten oder ist an sieben Tagen unter der Woche im Einsatz. Die Grenze der Belastung sei doch manchmal erreicht, seufzt er.

Aber es überwiegt der Stolz: »Das Loft ist zuvorderst für die Musiker*innen ein Ort der Infrastrukturbereitstellung!« Müller meint den hervorragenden Instrumentenpark, der ihnen zur Verfügung steht, die Möglichkeit, für kleines Geld hochwertige Aufnahmen produzieren zu können, die unmittelbare Nähe zum Publikum, die die Konzerte so intensiv werden lässt, last not least der Austausch der Musiker untereinander, der Vernetzungseffekt. Kölner (und Ex-Kölner) Musiker wie Pablo Held, Dietmar Bonnen, Florian Herzog oder Hayden Chisholm veranstalten im Loft Reihen und kleine Festivals mit Kollegen aus Amsterdam bis New York, Stars der Szene wie Christian Lillinger und Frank Gratkowski schauen fast monatlich mit neuen Projekten vorbei. Umgekehrt feiern Jazz-Studierende der Kölner Musikhochschule hier ihre Examenskonzerte.

Jazz und Improvisierte Musik — das muss gespielt werden, diese Musik entwickelt sich nur liveUrs Benedikt Müller

Das Loft ist der ­Katalysator der jungen Kölner Jazz-Szene — hinein in die große Jazzwelt — und harmoniert er­staun­lich reibungsfrei mit dem inter­nationalen Programm des Stadtgartens und der Traditions-Jazz-Szene im King Georg. »Jazz und Improvisierte Musik — das muss möglichst oft gespielt werden, diese Musik entwickelt sich nur live«, sagt Müller. »Es kann eigentlich gar nicht genug Spielorte, nicht genug Auftrittsmöglichkeiten geben, diese Musik funktioniert am besten auf der Bühne, sie lebt erst vom direkten Austausch mit dem Publikum.« Er muss es wissen, denn das Loft veranstaltet mittlerweile 200 Konzerte im Jahr. »Als mein Vater anfing, konnte man die ganze Szene jeweils an einem Wochenende präsentieren — das war’s dann auch schon. Heute kommen auf ein Konzert 15 Absagen, die ich verschicken muss.«  

Stadtgarten und Loft sind die für die musikdurstige Öffentlichkeit bekanntesten Säulen, auf denen die Jazzstadt Köln ruht. Wie bedroht ist ihre Arbeit durch den angekündigten Spar-Haushalt, der den freien Kunst- und Musik-Szenen brutale Kürzungen aufzuhalsen droht? Müller verweist auf den BKZ, der stehe hoffentlich erst einmal nicht zu Disposition. Aber die erhoffte und angesichts der Konzertnachfrage auch benötigte Erhöhung fällt aus — und vor allem: »Alle Projektkostenzuschüsse sind bedroht«, sagt Müller. »Hier droht ein Ausfall, denn aus diesen finanzieren sich die meisten Reihen, die Gagen für Auftritte und Tourneen«.

Im Klartext: Das Loft sieht sich derzeit noch nicht existenziell bedroht; aber viele Konzerte und Festivals sind es — bis hin zur Cologne Jazzweek, deren fester Bestandteil das Loft bislang gewesen ist. »Im Vergleich zur Oper und anderen Baustellen hantieren die freien Szenen mit Cent-Beträgen und müssen um diese jetzt auch noch zittern und kämpfen. Dass die Kostenexplosion der Opern­sanierung von der Politik als alternativlos dargestellt wird und die freie Szene massiv gekürzt werden soll— das ist regelrecht deprimierend und eigentlich unanständig.«

Die Gefahr ist real: Die jahrzehntelange Aufbauarbeit, die die Kölner Jazz-Szenen seit den 1980ern zuerst im Stadtgarten, dann im Loft geleistet haben, könnte binnen zwei Jahren durch den Doppelhaushalt 2025/26 lange nachwirkend beschädigt werden. Es gehe hier nicht nur um die finanzielle Ausstattung. Die Anerkennung und der Wunsch, sich auf die Kölner Kulturpolitik verlassen zu können, seien ebenso wichtig, betont Müller. »Es geht auch um die Signale, die jetzt gesendet werden, weil sie eine politische Haltung zum Ausdruck bringen, in diesem Fall leider die, bei den Schwächsten zu kürzen.«

Wer es genau wissen will: loftkoeln.de/de/verwendung-der-mittel