Lange Schatten

Max Annas beschreibt in seinem neuen Krimi »Tanz im Dunkel« die Nachkriegsaktivitäten Kölner Nationalsozialisten

Für Regionalkrimis gilt in besonderem Maße, was eigentlich für alle Krimis gilt: Es kommt auf die Details an. Biegen die Protagonist:innen einmal falsch ab, ist der Unglaube nicht mehr suspendiert. Das gilt besonders, wenn der Krimi in einem historischen Setting spielt. Insofern steht »Tanz im Dunkel«, der neue Krimi von Ex-Stadtrevue-Redakteur Max Annas, gleich vor einer doppelten Herausforderung. Nicht nur muss er einen Ort — Köln — glaubhaft beschreiben, sondern auch noch eine Zeit: das Jahr 1959. Leser:innen mit Factchecking-Gelüsten mögen sich am Erscheinungs­datum der Singles abarbeiten, die die drei Protagonist:innen hören. Der Rest kann sich für ihre Geschichte interessieren.

Denn die drei — Adi, der Ar­beiter, und die Gymnasiast:innen ­Gisela und Hagen —  sind eine ­Clique linker junger Erwachsener: engagiert gegen die Wiederbewaff­nung unter Adenauer und wachsam gegenüber den Alt- und Neonazis, die sich damals auch in Köln in dem Glauben versammelten, in der noch jungen Bundes­republik wieder die Macht übernehmen zu können. Ihr Selbst­vertrauen zeigte sich u.a. immer wieder in Hakenkreuz-Schmierereien, die damals in Köln auftauchten.

Auf dem Heimweg von einer Demonstration wird Claus, Freund und Genosse der drei, auf der Straße von einem BMW angefahren und stirbt unmittelbar. Adi, der mit Claus unterwegs war, ist sofort klar, dass der Zusammen­stoß kein Unfall war. Nach dem ersten Schock beginnt die Suche nach dem Mörder.

Nur wissen die drei nicht, dass parallel zu ihnen noch eine weitere Person in Köln auf der Suche nach Altnazis ist. Nicht um sie in bester Antifa-Manier auszuspionieren, sondern um sie zu töten. Den Inhaber eines »arisierten« Bekleidungsgeschäfts und einen Rentner, der Hakenkreuze geschmiert hat, hat er schon erwischt. Nun nimmt er sich einen Millionär vor, der in einer Villa am Zoo wohnt und das gleiche BMW-Modell fährt, das auch Claus überfahren hat. Auch die Polizei und die drei Freund:innen sind dem Millionär so auf die Spur gekommen und in der zweiten Hälfte des Buches kommt es dann an Heiligabend zu einem Showdown, der direkt aus einem Tarantino-Film stammen könnte.

All dies findet vor dem Hintergrund eines realen Ereignisses statt: An Heiligabend 1959 wurde ein Hakenkreuz an die kurz zuvor wiedereröffnete Kölner Synagoge gemalt, es folgte eine Welle von Hakenkreuz-Schmierereien in der ganzen Republik. Annas kontrastiert die öffentliche Aufregung um diese Schmierereien an der Synagoge mit der Selbstverständlichkeit, mit der die Nazis im Köln der späten 50er Jahre agieren konnten. Am Eigelstein gerät Adi in eine große Nazi-Versammlung und kann nur knapp entkommen. Und ein nur notdürftiges übermaltes Hakenkreuz an der Wand der Nippeser Clouth-Werke lässt einen Polizisten nicht einmal mit den Schultern zucken. Auch die späteren Opfer des unbekannten Vigilanten leben trotz ihrer Nazi-Vergangenheit unbehelligt weiter in einer bürgerlichen Existenz.

Annas zeigt die Selbstverständlichkeit, mit der Nazis im Köln der späten 50er Jahre agieren konnten

Diese bleischwere Atmosphäre der Nachkriegsjahre fängt Annas mit wenigen Worten ein. Ein Schleier aus BRD Noir hängt über seinen Beschreibungen der kalten, dunklen Nächte im damaligen Arbeiterviertel Nippes, wo »Tanz im Dunkel« hauptsächlich spielt. Zimmer und Wohnungen stehen leer, andere Straßenecken sind durch Kriegsruinen gekennzeichnet. Adi wohnt dort bei seinem Onkel, der wegen seiner kleinkriminellen Aktivitäten das schwarze Schaf der Familie ist. ­Irgendwann zieht über ihm »ein Italiener« ein — ein Hinweis auf das Anwerbeabkommen mit Italien, das 1959 unterzeichnet wurde. Einen Ausweg aus der Düsternis der Nachkriegsjahre versprechen nur die Popsongs, die Adi, Gisela und Hagen aufsaugen. Jeder Gitarrenakkord wird zu einem Versprechen, jeder Streicherpart zu einer Erziehung des Herzens. Und als die Freundschaft der drei wegen eben dieses Herzens auf die Probe gestellt wird, entscheiden sie sich für Liebe und nicht für die Eifersucht.

Es sind Momente wie dieser, in denen dieses Buch die düstere Realität des Nachkriegskölns hinter sich lässt und den hard-boiled Zynismus des Krimi-Genres überwindet. »Tanz im Dunkel« zeigt, wie gerechte Rache und großzügige Menschenliebe die Welt zu einem schöneren Ort machen können.

Max Annas: »Tanz im Dunkel«
Suhrkamp, 240 Seiten, 17 Euro
erhältlich ab 13. Januar