»Sind Sie halb und halb?«
Statt drückender Friteusenluft hinter dem Tresen der Pariser Fastfood-Kette staubige togolesische Straßen, in der Ferne Minen, in denen Phosphat für den Export nach Frankreich abgebaut wird. Adikou ist in Raphaëlle Reds gleichnamigem Roman zu einer Reise aufgebrochen, »um meine Roots zu erkunden, you know, um zu begreifen, woher ich stamme«, wie sie Bekannten erzählt hat, denn ihren Vater, ein Togolese, der in seinem Heimatland inhaftiert war, kennt sie kaum.
»Sind Sie halb und halb? Franko-Togolesin?«, fragt an der Passkontrolle in Lomé ein Geschäftsmann, der mit ihr im Flugzeug saß. In Aklako, laut Pass der Geburtsort ihres Vaters, werden sie und ihr Begleiter zunächst für »Ermittler« oder »Journalisten« gehalten, bis ein Einheimischer ihnen schildert, wie Weiße Europäer einst Aklako auf ihre Landkarten schrieben. »Sie wollen einfach nicht von Afrika ablassen«, diesen Satz sagt der Einheimische plötzlich in französischem Präsens und mustert misstrauisch die Protagonistin.
Zugehörigkeit, die Möglichkeit einer holistisch in sich geschlossenen Identität, scheint für Adikou illusorisch, nicht mehr als eine Fiktion. Und so changiert Raphaëlle Reds Erzählen markant zwischen der ersten und dritten Person, als müsse die Ich-Erzählerin einige fiktionale Schritte von sich selbst zurücktreten, um die eigene Geschichte wahrhaftig erzählen zu können. Einschübe zerplittern den Roman, die in Rückblenden plastisch Adikous Auslandssemester in den USA erzählen. Für den Aufenthaltsraum für Schwarze Studierende an der Universität kam sie sich nicht Schwarz genug vor, und »Whiteboy«, ihr Freund, fragte sie: »Weißt du eigentlich, dass ich vor dir noch nie mit einer Schwarzen zusammen war?« Später brach sie auf nach Nashville, Memphis und New Orleans und übernachtete in Kolonialhäusern am Rand ehemaliger Sklavenplantagen.
»Adikou« dürfte einer der formal avanciertesten Texte über postkoloniale Spurensuche der letzten Jahre sein. Einmal erinnert sich die Protagonistin an ihre Mutter: »Sie sagte, sie liebt mich tausendfach, und ich habe nicht verstanden, dass sie es als Ausgleich für tausend andere meinte« — für tausend andere Ichs, in die sich migrantische Identität in diesem Roman fragmentiert, und für tausend historische andere, auf deren Schultern Schwarze Existenz in dieser postkolonialen Gegenwart noch immer spürbar steht.
Roman
Raphaëlle Red: »Adikou«
Rowohlt, 224 Seiten, 24 Euro
Lesung
Mi 22.1., Institut français, 19.30 Uhr
Eintritt frei