Wer transparent arbeitet, braucht kein Licht ins Dunkel bringen: Stefan Kraus Foto: Paul Wontorra, © Kolumba, Köln

Seelsorge im Kunstmuseum

Kolumba-Direktor Stefan Kraus über ominöse Fragebögen, die Bedeutung des Museums für Stadt und Erzbistum und den Ruhestand, der demnächst ansteht

Herr Kraus, in der aktuellen Kolumba-Ausstellung »Artist at Work« geht es um Künstler*innenhände, -betten und -diskussionen. Kann man aus den vielen Facetten, die das Museum präsentiert, ein Idealbild künstlerischer Arbeit ableiten?

Nein, denn ich glaube nicht an ein Künstler-Ideal. Wir wollen mit der Ausstellung im Gegenteil zeigen, wie viele verschiedene Möglichkeiten und Wege es gibt, so etwas wie Kunst ins Leben zu bringen. Es ist doch viel spannender, sich davon überraschen zu lassen, welche Ideen und Strategien Künstler*innen entwickeln. Deshalb haben wir dieses Jahr versucht, einen Bogen zu schlagen vom mittelalterlichen Handwerkskünstler zum Künstler der Gegenwart. Unser Stichwortgeber ist Mladen Stilinović, der sich in der Arbeit »Artist at Work« dabei fotografieren ließ, wie er im Bett liegt und schläft; der keine Ware produziert, sondern diesen Warenwert der Kunst unterläuft.

Dem Gründungsverständnis nach ist das Kolumba »ein Angebot zur Auseinandersetzung mit dem zur Kunst gewordenen Leben«. Was macht dieses Leben aus, das Kunst ist?

Eine finale Definition zu liefern, was Kunst ist, ist schier unmöglich. Man kann aber sagen, dass Kunst ein formgewordenes Spiel mit Inhalten ist. Das heißt, dass etwas über eine gefundene Form mitteilbar wird. Ob es das als Bild, als Klang, als Wort, als Geste oder als Performance tut, da gibt es ganz verschiedene Möglichkeiten, aber es muss in irgendeiner Weise über unsere Sinne erlebbar sein. Es ist mir wichtig darauf hinzuweisen, dass Kunst erstmal und vor Allem zweckfrei ist. Auf die Kultur bezogen, muss sich eine Gesellschaft daran messen lassen, Räume für diese Zweckfreiheit zur ­Verfügung zu stellen.

Nun werden sehr viele Institutionen von den angekündigten staatlichen und städtischen Kürzungen betroffen sein. Sie hingegen nicht, da Ihr Haus Teil und im Besitz des Erzbistums ist. Das hat aber auch seine Tücken, in der Tagespresse konnte man von einem ominösen Fragebogen lesen. Können Sie etwas Licht ins Dunkel bringen?

Ich glaube, so viel Dunkel ist da gar nicht. Das Kolumba führen wir von Anfang an als transparentes Projekt. Zu diesen Anfängen müssen wir auch zurück, um die aktuelle Situation zu verstehen: Eigentlich beginnt es mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, wo man bewusst mit dem Wunsch aufgetreten ist, die Kirche mit der Gegenwart in Dialog zu bringen. Dieser Vorstellung folgend, kam das Erzbistum Köln Anfang der 1990er auf den Gedanken, dass die Kirche wieder stärker eine Funktion als Kulturträgerin aufnehmen sollte. Folge davon ist unter anderem das Kolumba in seiner heutigen Form. Die Kirche will Kultur fördern, um selbst ein Teil davon zu sein. Doch wer Kultur fördert, der darf nicht sofort danach fragen, was bringt mir das jetzt, sondern der muss das Vertrauen haben, dass das seinen Sinn hat. Wir haben uns mit dem damaligen Erzbischof, mit Kardinal Meisner, auf eine sehr schöne Formulierung verständigen können, die nämlich da hieß, dass wir Seelsorge betreiben — mit den Mitteln eines Kunstmuseums.

Und dann kommt so ein Fragebogen, der von Simon Schmidbaur, dem Bereichsleiter Strategie beim Erzbistum, entworfen und ausgesandt wurde, der aber doch fragt: »Was macht das Kolumba Museum eigentlich? Gebt doch mal ein paar Zahlen.« Was bedeutet das für Sie?

Fakt ist, dass das Erzbistum Köln sich damit konfrontieren muss, dass die zur Verfügung stehenden Mittel schrumpfen. Wenn ich von der unternehmerischen Seite aus denke, dann habe ich allergrößtes Verständnis dafür, dass man anfängt, sich Gedanken darüber zu machen wie: »Wer sind wir eigentlich als Kirche und was wollen und können wir in Zukunft sein?« Die Frage ist, mit welchen Mitteln macht man das? Und da hat man sich entschieden, eine Unternehmungsberatung als eines der Werkzeuge hinzuzuziehen, um relativ nüchtern, am Ende auch mit Zahlen zu belegen, was funktioniert für uns als Kirche und was nicht. Die Frage ist natürlich, inwieweit das bei Kunst und Kultur wirklich klappt und zu welchen weiteren Werkzeugen man greift, um die nicht unmittelbar messbaren Erfolge zu bewerten. Ich habe da überhaupt keine Sorge, weil wenn wir eines liefern können, dann sind das Zahlen. Kolumba ist, gemessen an den Zahlen, mit denen wir geplant haben — das waren 100 Besucher*innen am Tag —, viel erfolgreicher geworden, als man das je hätte erwarten können. Wir haben im Schnitt etwa 150 Gäste pro Tag. Beim Materialkarrussel der Kölner Kultur waren es am 24. August über 2000. Wir haben also die Zahlen! Im Übrigen kann man bei Kolumba nicht viel kürzen, da wir im jährlichen Ausstellungswechsel mit den Werken der eigenen Sammlung und ohne temporäre Ausstellungsarchitekturen ohnehin das wirtschaftlichste und auch nachhaltigste Museumskonzept realisieren.

Das Haus ist in der Stadt und der inter­nationalen Gemeinschaft ­angekommen. Es ist eine IkoneStefan Kraus

Man konnte nachlesen, dass unter anderem abgefragt wird, was das Kolumba für das Proprium tue, also alles, »was so nur wir als Kirche tun (können)«. Kann das Kolumba da Argumente liefern?

Ich muss zugeben, dass ich erstmal nachschauen musste, was damit gemeint ist. Da haben wir glücklicherweise die Resonanzen der Besucher*innen, von denen 95 Prozent positiv sind. Es werden die Atmosphäre und die Aura gelobt, die ganzheitliche Erfahrung mit den Ausstellungen, ­Veranstaltungen und Vermittlungsformaten.

Muss die Kirche, zumal die katholische,  einsehen, dass die sakrale Erfahrung und Berührung, die ehedem ihr unique selling point war, in der Moderne woanders hingewandert ist? Dass also die Rezeption einer Installation von Jannis Kounellis oder der »Kirche der Angst« eines Schlingensiefs, die Funktion übernommen hat, die früher der Gottesdienst hatte?

Teile der Kirche haben in der Vergangenheit geradezu kriminell gehandelt, und das haben ihnen viele Gläubige nicht verziehen — die treten aus und wollen den, salopp gesagt, Verein nicht mehr unterstützen. Menschen haben aber ein Grundbedürfnis auf spirituelle Erfahrung und Beseelung. Wenn Sie also sagen, dass das nun auf andere Weise in Kolumba geschieht, dann sollte das ein hoher Wert für die Kirche sein.

Zum Schluss eine Frage, die wenig mit dem Erzbistum zu tun hat: Sie haben gerade die Kuratorin Ulrike Surmann nach mehr als 33 Jahren Richtung Ruhestand verabschiedet. Sie selbst werden 2026 altersbedingt folgen. Ist das Museum gut aufgestellt, können Sie es bedenkenlos übergeben?

Ulrike Surmann und ich haben fast zeitgleich angefangen, vor mehr als drei Jahrzehnten. Was wir immer als Team, erst unter der Leitung von Joachim Plotzek und dann mit mir hier auf die Beine gestellt haben, ist ein sehr guter Grundstein für unsere Nachfolger*innen. Das Haus ist in der Stadt und der internationalen Gemeinschaft angekommen. Es ist eine Ikone. Wir haben zwar baupyhsikalisch-bedingt einige Probleme mit Wassereintritten, sind aber dabei, sie zu beheben. Die Sammlung haben wir mit hoher Kontinuität über gezielte Ankäufe und großartige Schenkungen profiliert und hoffen, über eine umgenutzte Kirche bald ein zukunftsfähiges Erweiterungsdepot realisieren zu können, das wir dringend benötigen. Mit den Ausstellungen zeigen wir, wie spannend es ist, sie immer anders oder auch in ungewöhnlichen Kooperationen mit anderen zu entfalten. Und da ist ein Team, das sich selbst fordert und fördert, in dem man alles besprechen und diskutieren kann. Ich denke, dass ich das Museum in spätestens zwei Jahren ohne Sorgenfalten über­geben kann.

Kolumba Museum Köln: »Artist at Work«
Kolumbastr. 4, bis 14.8.2025; Mi–Mo 12–17 Uhr

Stefan Kraus wurde 1960 in Köln geboren. Er studierte später Kunstgeschichte, Germanistik und Pädagogik, heuerte 1981 am Kölnischen Kunstverein unter Wulf Herzogenrath an — bis zum Weggang des bis heute geschätzten Direktors im Jahr 1989. Seit 1991 ist Kraus Kurator am Diözesanmuseum, das 2007 in den heutigen Museumsbau umzog und seitdem Kolumba Museum heißt. Diesem außergewöhnlichen Museum steht er als Direktor seit 2008 vor.