Das Sprengen der Erdkruste, ein Klagelied
Die Manganknolle liegt auf dem Meeresboden, in extremer Tiefe, und enthält von einigen Metallen größere Mengen, als in alle heute bekannten Landlagerstätten: Nickel, Kupfer und Kobalt — wirtschaftlich interessante Metalle zur Verwendung von Batterien, etwa für E-Autos. Noch gibt es keine Lizenz zum Ernten, doch ein japanisches Unternehmen hat sich bereits das Exklusivrecht für den Abbau der ersten 1,3 Millionen Tonnen gesichert. Die zerstörerische Auswirkungen auf die ökologische Vielfalt wären enorm, mahnen Expert*innen.
Oder Sand. In noch stärkerem Maß als Erdöl wird er für die Produktion von Autoreifen, Kosmetik, Kreditkarten, Handys oder Computerchips gebraucht. 40 Milliarden Tonnen werden weltweit pro Jahr abgebaut, vom Meeresgrund abgesaugt und von Küsten abgegraben, wodurch Mikroorganismen und Tiere getötet werden und Strömungen sich verändern.
»Was wäre, wenn die Rohstoffe in unseren Alltagsgegenständen ein Gedächtnis hätten und uns ihre Geschichte erzählen könnten?«, fragt nun das Freie Werkstatt Theater in der Kölner Südstadt in der neuen Programmreihe »Focus on: Rohstoffe«. Mit interdisziplinären Formaten — Performances, Installationen, Filmen, Diskussionen und Theater — wird sich einer Antwort zu nähern versucht. Im Ankündigungstext zur Reihe heißt es: »Ihr Transformationsprozess über Milliarden von Jahren wäre ein episches Gedicht; das Bohren und Sprengen der Erdkruste ein wehmütiges Klagelied. Die verhängnisvolle Verstrickung des Rohstoffhandels mit dem Schicksal anderer Lebewesen, indigener Bevölkerungen und Arbeitsmigration wäre eine erschütternde Tragödie.«
Dandan Liu ist seit Ende 2023 Programmkuratorin am Freien Werkstatt Theater. Die Berliner Theatermacherin gehört zum damals neu gegründeten Leitungsteam, das das geschichtsträchtige Theater in der Kölner Südstadt neu aufstellen will. Gemeinsam mit dem Theaterleiter Guido Rademachers und dem Performancekünstler Jascha Sommer entwickelt sie Ideen, um das FWT zu einer »Werkstatt für die zeitgenössische Stadtgesellschaft« zu machen — und verstärkt junges Publikum anzuziehen. Dafür soll der Spielplan künftig um thematisch ausgerichtete Programmlinien gruppiert sein, die mit diversen Formaten präsentiert werden. Der erste Schwerpunkt ist nun »Focus on: Rohstoffe«, der von November 2024 bis März 2025 im Haus laufen wird.
»Die kuratorische Idee zum Thema Rohstoffe hatte ich während der Energiekrise, als die Heizungskosten in Folge des Ukrainekrieges so stark stiegen und sehr viele Herausforderungen auf die deutsche Wirtschaft zukamen«, erzählt Dandan Liu. »Ich hab mich gefragt: Woher kommen eigentlich all die Rohstoffe, aus denen unsere Alltagsgegenstände gemacht sind? Haben sie, sozusagen, eine schuldfreie Herkunft? Oder ist der Handel mit Rohstoffen eigentlich immer schon ein nicht-schuldfreies Geschäft?« Besonders interessant sei in diesem Zusammenhang, dass Nordrhein-Westfalen, etwa mit Lützerath und dem Hambacher Tagebau, eine lange Geschichte industrieller Abbaugebiete habe und damit auch eine Geschichte der aktivistischen Gegenwehr.
Im vergangenen November, zur ersten Staffel der Reihe, präsentierte das FWT unter anderem das Gastspiel »Out of the Blue« von Silke Huysmans und Hannes Dereere, eine Produktion des CAMPO Gent, die dem Publikum den Tiefseebergbau auf dem unerforschten Ozeanboden näher brachte. In »Milliarden Jahre Widerhall« begaben sich die Zuschauer*innen in einer performativen Ausstellung mit Naoko Tanaka auf eine Expedition nach Fukushima. Und die Videoarbeiten von Viktor Brim und Au Sow Yee erweiterte den Blickwinkel auf die Mirny-Diamantenmine in Sibirien und den kolonialen Rohstoffhandel in British Malaya.
Menschen fahren an diese Orte, um die Schneise der Verwüstung mit eigenen Augen zu sehen. Der Tourismus erlebt in diesen Regionen einen BoomDandan Liu, Kuratorin
»Eine der spannendsten Veranstaltungen«, erzählt Dandan Liu, »War der Abend mit einem Aktivisten der Gruppe Zucker im Tank, die direkte Aktionen gegen den Steinkohle- und Braunkohleabbau organisiert.« Haben die Aktionsformen etwas bewirkt? Oder befindet sich die Bewegung derzeit im Niedergang? Die Gruppe Zucker im Tank hat sich auf Wissenstransfer spezialisiert und eine Geschichtsschreibung über die Bewegung in Deutschland verfasst, die erzählt, wie der Protest gegen den Kohleabbau begann und sich über Camps und direkte Aktionen verbreitete.
Ein besonderer Aspekt sind dabei die persönlichen Konsequenzen, die etwa die Blockadeaktion des Braunkohlekraftwerkes in Weisweiler im Jahr 2017 für die Aktivist*innen zur Folge hatte. Der Essener Energiekonzern RWE verklagte sie auf einen Schadensersatz von zwei Millionen Euro, das Gericht verurteilte sie am Ende nur in einem von drei Anklagepunkten: dem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. »Gerade diese Veranstaltungen halte ich für wichtig«, sagt Dandan Liu. »Schwerpunkt meiner kuratorischen Arbeit soll künftig gerade sein, politische Themen ins Theater zu tragen, sie künstlerisch zu verarbeiten und junge Menschen dazu ermutigen, sich auseinanderzusetzen und eigene Positionen zu entwickeln.«
Und die Aussicht für die kommenden Veranstaltungen der Programmreihe? Wie bei vielen Kulturorten in Köln und NRW hängt die Durchführung gerade von politischen Entscheidung ab: Kürzungen im Kulturhaushalt und bei Förderprogrammen sind absehbar. Aber wie stark werden sie das Freie Werkstatt Theater treffen? Können die geplanten Programmpunkte dann noch stattfinden?
Bislang jedenfalls stehe das Programm für den März 2025 bereits fest, sagt Dandan Liu. In »The New Silicon Valley« von Gabriel Carneiro wird von einer Zukunftsgesellschaft erzählt, in der der globale Süden nicht mehr ausgebeutet wird. Statt dessen gibt es eine neue Technologie, die aus menschlichen Knochen Gold gewinnen kann. Carneiro bezieht sich dabei auf das Datamining, also das Abgreifen vom Rohstoff Daten, um etwa den Online-Verkauf effizienter zu organisieren.
In »Pools« beschäftigt sich die Künstlerin Marlene Helling mit drei Bergbaugebieten, die sich zum touristischen Ort entwickelt haben. »Die Naturzerstörung wird als Schauspektakel verwertet, das ist absurd«, sagt Dandan Liu. »Menschen fahren an diese Orte, um die Schneise der Verwüstung mit eigenen Augen zu sehen, der Tourismus erlebt in diesen Regionen einen Boom.« In »DWDW — Die Sache mit den Bäumen« schließlich erzählt das renommierte Armada Theater über Wälder und Abholzung, ein Stück für junge Menschen ab zwölf Jahren. Bleibt nun zu hoffen, dass die Programmreihe wie geplant stattfinden kann.