Des einen Freud, des anderen Freud
»Freud — Jenseits des Glaubens« spielt in den letzten Tagen Sigmund Freuds im Londoner Exil. In Regisseur Matt Browns Version der Geschichte bekommt er 1939 Besuch von C.S. Lewis, dem Autor von »Die Chroniken von Narnia«. Aus Lewis’ Brautwerben um Freuds Tochter Anna entspinnt sich ein Rededuell um Religion, Moral und Vater-Tochter-Bindungen. Gespielt wird der Begründer der Psychoanalyse von Anthony Hopkins.
Sigmund Freud, den Künsten eigentlich zugetan, hielt selbst nichts vom Kino. Noch zu seinen Lebzeiten lehnte er das gutdotierte Angebot Samuel Goldwyns ab, an einem Werk über Kleopatra mitzuwirken. Seriöser wirkte vermutlich ein Ersuchen des großen Stummfilm-Regisseurs G.W. Pabst. Aber »Geheimnisse einer Seele« (1925) schrieben dann zwei andere Psychoanalytiker, basierend auf wahren Fallgeschichten.
1962 versuchte sich Noir-Regisseur John Huston an »Freud« — als Drehbuchautor fragte er ausgerechnet Jean-Paul Sartre an. Der Existenzphilosoph und erklärte Anti-Psychologe lieferte ein mehrere hundert Seiten dickes Skript ab, das Huston verwarf. Hustons »Freud« folgt schließlich zentralen biografischen Stationen. Freud ringt in Wien um Anerkennung. Die umstrittene »Hysterie« erscheint ihm als Ausdruck unterdrückter, widerstrebender Gefühlsregungen, denen er zur Artikulation verhilft. Freuds akademische Kollegen lehnen seine bahnbrechenden Erkenntnisse ab, spätestens als er — Huston erzählt dies entlang konkreter Fälle — die Sexualität des Kleinkindes und damit den Ödipuskomplex »entdeckt«.
Freuds Patientinnen waren da offener. Mehrere »Hysterikerinnen« wurden nach der Analyse zu bedeutenden Psychologinnen. In Benoit Jacquots »Marie und Freud« (2004) liegt Catherine Deneuve als Marie Bonaparte auf der berühmten Couch. In der Psychoanalyse sucht die Urgroßnichte Napoleons Heilung von ihrer Frigidität, unterstützt die Herausgabe von Freuds Schriften, rettet seinen Briefwechsel vor den Nazis, und bringt Freud auch ins Londoner Exil, wo er 85-jährig an Kehlkopfkrebs stirbt. Bonaparte veröffentlichte unter anderem Studien über Edgar Allan Poe und Peter Kürten, den Serienmörder von Düsseldorf. Jacquot gelingt trotz erkennbar knappem Budget ein ansehnliches period piece über den Übergang von der polyglotten, multikulturell gefärbten KUK-Monarchie zur Nazi-Barbarei.
Anthony Hopkins interpretiert Freud auf seine Art: ironisch, viril, gut gelaunt
Ganz anders David Cronenbergs »Eine dunkle Begierde« (2011): Der für »Body Horror« mitsamt explodierenden, verschmelzenden und mutierenden Körpern bekannte Filmemacher inszeniert kühl ein psychodynamisch komplexes Dreieck. Er stellt Sabina Spielrein zwischen Freud und seinen einstigen Schüler, erklärten Nachfolger und späteren Widersacher Carl Gustav Jung. Hinter Spielreins »Hysterie« verbergen sich verdrängte sadomasochistische Impulse, die sie mit Jung ausagiert. Der wiederum kehrt des Öfteren reumütig zu seiner treusorgenden Gattin zurück. Spielrein wird von Cronenberg als sich emanzipierender Katalysator der Entfremdung zwischen dem Meister und seinem 19 Jahre jüngeren Schüler gezeichnet. In der Realität promovierte sie als erste Frau mit einer psychoanalytischen Arbeit. 1942 wurde sie in Russland von den Nazis erschossen.
Es gibt auch schrägere Herangehensweisen: In »Kein Koks für Sherlock Holmes« (1976) findet der berühmte Detektiv Heilung in dessen Praxis — in »Der Vampir auf der Couch« (2014) ist es ein ungarischer Blutsauger. Stellenweise gorig fällt die Netflix-Serie »Freud« (2020) aus: 1886 führt ein blutiger Ritualmord an einer Prostituierten den ermittelnden Analytiker durch schummrig-schmierige Kneipen der Donaumonarchie, in die Salons moralisch verkommener Thronfolger, auf spiritistische Sitzungen. Überall werden Attentate angezettelt, im Morgengrauen duelliert man sich.
Anthony Hopkins nun interpretiert die schier überlebensgroße Figur für »Freud — Jenseits des Glaubens« auf seine Art: ironisch, viril, gut gelaunt. Was hätte Sigmund Freud dazu gesagt? Ein überliefertes Zitat von ihm lautet: »Ich möchte mit keinem Film persönlich in Berührung gebracht werden.« Sartres bereits erwähntes Drehbuch ist mittlerweile übrigens publiziert. Es soll gar nicht schlecht sein und harrt seiner filmischen Umsetzung.
(Freud’s Last Session) USA/GB/IRL 2023, R: Matt Brown, D: Anthony Hopkins, Matthew Goode, Liv Lisa Fries, 110 Min., Start: 19.12.