Frauen in der Folterkammer © Omar Rammal / Films Grand Huit

Rabia — Der verlorene Traum

Mareike Engelhardt porträtiert in ihrem ersten Spielfilm eine IS-Kämpferin

In einer der heftigsten Szenen des Debüts der deutschen Regisseurin Mareike Engelhardt hält Agnès Godards Kamera nur auf Rabias dunkel ausgeleuchtetes Gesicht. Nein, diese Frau, die einmal Jessica hieß und in Paris als Krankenschwester arbeitete, ist kein Opfer. Zögernd nimmt sie die Peitsche, die man ihr reicht wie einen Staffelstab der Macht. Noch erschrickt sie vor dem ersten Hieb, den sie zwei Delinquentinnen verpassen soll. Und schlägt dann immer fester zu. Kein Gegenschuss auf die Schreienden, stattdessen erforscht das Kameraauge einen inneren Vorgang, gespiegelt in Megan Northams engelsgleichem, hart entschlossenem Gesicht.

Dass männlich dominierte Gewaltherrschaft nur dann funktioniert, wenn auch ein paar Frauen beim Unterdrücken mithelfen, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen schlossen sich seit 2013 mehr als 42.000 Menschen aus 110 Ländern dem Islamischen Staat in der irakisch-syrischen Zone an. Die hauptsächlich zum Gebären rekrutierten Frauen landen in abgeriegelten Häusern, bevor sie den männlichen Kämpfern als Bräute überlassen werden. Wie das Leben in solchen »Madafas« aussieht, ist nur aus Berichten von Rückkehrerinnen bekannt. Engelhardt sprach mit einigen von ihnen und schuf daraus mit ihrem Co-Autor Samuel Doux einen von der Bildgestaltung bis zur Musik hochstilisierten wie reduzierten, bis in die Nebenrollen stark besetzten Spielfilm.

Vom ersten Flug der aufgeregten Freundinnen Jessica und Laïla (Natacha Krief) bis hinunter ins Folterkellerloch geht alles radikal abwärts. Im Obergeschoss residiert Madame, gewohnt schrecklich gut gespielt von Lubna Azabal (»Die Frau, die singt«): Die Einpeitscherin und Menschenfängerin erkennt in Jessica/Rabia eine Ebenbürtige. Azabal lässt einem das Blut in den Adern gefrieren, wenn sie von polyglottem Französisch in heiseres Arabisch wechselt und die Liebe zum Tod predigt, die allem überlegen sei.

Engelhardt, Jahrgang 1983, deren Großeltern wie so viele begeistert der Hitlerjugend beitraten, sagt, sie habe wissen wollen, wie es möglich sei, von einem System absorbiert zu werden, »das einem die Menschlichkeit raubt«. Rabia hat eine scheinbar widersinnige Antwort parat: Sie wollte »frei sein« und »gesehen werden«

(Rabia) F/D/B 2024, R: Mareike ­Engelhardt, D: Megan Northam, Lubna ­Azabal, Natacha Krief, 94 Min., Start: 23.1.