Kunst gegen die Bagger
Manheim mit seiner tausendjährigen Geschichte ist das letzte von rund 300 Dörfern, das dem Braunkohletagebau im Rheinischen Revier weichen muss. Die große neugotische Kirche steht noch, genau wie ein paar verbretterte Häuser und Höfe. Drei Parteien leben noch hier, obwohl inzwischen auch sie an RWE verkauft haben. Auf- und Abbruch also, und doch ist jemand neu hinzugekommen: Silke Schatz (*1967) hat ihr Atelier hierher verlegt. Was für ein Statement! Seit 2021 fährt sie jede Woche nach Manheim, dokumentiert sein allmähliches Verschwinden und bewahrt, was war. »Jedes Mal, wenn ich ankomme, fühle ich mich unter Druck, bin aufgeregt und frage mich, ob ich da weitermachen kann«, gesteht sie während der Fahrt dorthin.
Die Energie des Lebensraums von einst 1600 Menschen lässt sich für sie am besten an den Pflanzen ablesen. Denn dort, wo Natur und Zivilisation verwüstet und zerstört wurden, wächst wieder Neues. Die gerodeten Flächen seien von der Ruderalflora erobert worden, erklärt die ökologisch versierte Künstlerin. Schatz kennt alle Wildkräuter, darunter Hundsrose, Wilde Möhre, Ringdistel, Riesenbärenklau, und archiviert sie sorgfältig auf Fotos mit ihren botanischen Namen.
Auch von Manheims Kulturpflanzen finden sich noch Reste, die sie behutsam konserviert. »Meist werden erst die Gärten zerstört und dann die Häuser abgerissen«, hat sie beobachtet. Einige Yucca-Palmen aus den Vorgärten hat sie mit einem fotografischen Verfahren auf Cyanotypien verewigt, die Baumstämme einer Streuobstwiese wurden in Ton gedrückt und später glasiert. Neben den zartblauen Schattenbildern und den pflanzlichen Totenmasken wirkt das Obst in den Weckgläsern eines Manheimer Bauern geradezu profan. Aber es wurde nicht zum Verzehr, sondern zur Erinnerung eingekocht. Die eingemaischten Äpfel brachte Schatz in eine Brennerei nach Hagen. Nun ruhen sie als Kunstwerke »wie in einer Zeitkapsel«.
Für ihre Feldforschung und Trauerarbeit am Rande des tiefsten von Menschenhand geschaffenen Lochs Europas wurde Schatz 2024 mit dem City Artist Price Cologne ausgezeichnet. Sollte Manheim 2024 endgültig abgebaggert werden, dann nicht mehr wegen der Kohle, sondern um die steilen Hänge des geplanten größten deutschen Binnensees mit seinen Sanden und Kiesen abzuflachen. Noch hofft die Künstlerin, die in ihrer Jugend Hausbesetzerin war, dass das Dorf als Bildungsort erhalten bleibt. In letzter Minute startete sie eine Petition zur Rettung Manheims und gegen die geplante Rodung des Manheimer Wäldchens.
Infos: manheim-calling.org