Zu Gast im Gedicht: Lebogang Mashile, Foto: Sara Chitambo

Poesie ohne Platzkärtchen

Die Poetica feiert die Vielfalt von Lyrik als Grundlage der Demokratie

Die Freundschaft als Grundlage der Demokratie — so formulierte es der Philosoph Jacques Derrida. Angesichts des Aufstiegs autoritärer Politikformen, für die Feindschaft konstitutiv ist, wirkt er heute aus der Zeit gefallen. Das ­Literaturfestival Poetica versucht sich daher zu seinem zehnjährigen Jubiläum an einer Erneuerung von Derridas Idee: die Poesie als Form der Gastfreundschaft. »Was hat alles Platz in einem Gedicht?«, fragt das Festival und die Antwort lautet: eine ganze Menge. Oder besser: eine Vielfalt.

Die Wortspiele von Yoko Tawada haben darin ihren Platz, ebenso die hämmernden Pianoklänge von Aki Takase, denen der Lyriker Jan Wagner sein Gedicht »hommage an die hände von aki takase« widmete. Auch er ist bei der Poetica zu Gast. In den Gedichten von Fiston Mwanza Mujila haben viele Stimmen einen Platz. Wenn der kongolesisch-österreichische Autor seine eigene Stimme erhebt, moduliert er sie, stretcht die Vokale, verschiebt die Tonhöhe und wechselt fließend zwischen den Sprachen. Die Lyrik von Lebogang Mashile vereint südafrikanische Dialekte mit der afrodiasporischen Tradition der Spoken-Word-Performance, in denen Lyrik zu einem Medium kollektiver Erinnerung wird. Hiromi Itō aus Japan und die in Syrien geborene Lina Atfah fragen sich mit den Mitteln der Lyrik, wie ein Ankommen und ein Übergang aussehen kann.

Claudia Rankine aus den USA hat mit »Citizen« ein Langgedicht über Rassismus geschrieben. »The wrong words enter your day like a bad egg in your mouth«, heißt es darin und was diese ­Worte mit dem Körper machen, bespricht sie auf der Poetica mit Radna Fabias, deren Gedichte ­rassistische Ausschlüsse in den Niederlanden thematisieren und mit Sasha Marianna Salzmann, die in ihren Geschichten die ­Vielfalt der osteuropäischen ­jüdischen Community in Deutschland zeigt. Und dann gibt es noch die Lyrik von Monika Rinck und die Essays von Uljana Wolf, die beide zeigen, wie Lyrik der Ort sein kann, an dem die ­verschiedenen Register unserer Sprache kollidieren dürfen. Kontrast ist Programm bei der Poetica. Oder wie Derrida meint: Jede Freundschaft bringt eine andere Facette des Selbst hervor.

Poetica 10 Mo 20.1.-Sa 25.1., diverse Orte; Mehr Info: poetica.uni-koeln.de