Geschichte eines Femizides: Kraftvoll und politisch, Foto: Heck Nils Ama

Keine Bühne für Täter

»Tabak. Oder warum Sie mit dem Frauen morden ­aufhören sollten«: Regisseurin Lea Oltmanns zeigt ein sprachgewandtes, kraftvolles Stück in Essen

Es könnten etwa so abgelaufen sein: Ein Mann betritt den Tabakladen seiner Freundin oder ­vielleicht Ex-Freundin. Er hat wahrscheinlich Benzin dabei, er schlägt sie wahrscheinlich, wieder. Er legt Feuer. Was wir sicher wissen: Er schließt die einzige Tür von außen ab und geht ruhigen Schrittes davon. Denn nur das beschreibt die Dramatikerin Rachel J. Müller in ihrem Stück »Tabak«, das Regisseurin Lea Oltmanns und ihr Ensemble in Essen präzise und berührend zur Uraufführung bringen. Müller schildert den Mord ausschließlich aus der Perspektive der Überlebenden: ­einerseits der Nachbarinnen, ­andererseits des taubengrauen Mehrfamilienhauses selbst, das charmant unzuverlässig aus dem Off kommentiert. Der Täter, seine Rechtfertigungen, das unvermeidliche victim blaming bekommen hier keine Bühne.

Stattdessen sehen wir die ­vereinzelten Bewohnerinnen in ihren Wohnungen. Sie vollführen ruhige Alltags-Choreografien, denken Alltägliches. Nach dem Femizid geraten sie zunehmend aus dem Takt — sie spüren, dass das, was hier passiert ist, allen Frauen* gilt. Im Zentrum stehen zwei Figuren, die sich unverhofft annähern: die Junge, Sümeyra Yılmaz, mit ­ihrer hilflosen Wut, und die Ältere, mit ihren ganz konkreten Racheplänen, Ines Krug.

Müllers Text ist ein Prozess des langsamen, gemeinsamen Verstehens, den Oltmanns in freundlich kühles Alltagssprechen und ­-spielen übersetzt. Vor allem Sümeyra Yılmaz bringt es zu einiger Meisterschaft darin, die Sprache scheinbar einfach ihre Arbeit machen zu lassen, bis deren subtile Komik sich von selbst entfaltet.
Dass der Täter sich kurz nach der Tat stellt, bringt keine Ruhe ins Haus: »Jetzt ist er dahin hinter Gittern sicher warm bekocht befernsehert bebrettspielt bedeckt zugedeckt eingedeckt eingehüllt in heimliches Verständnis ja vielleicht Verständnis weil versteh einer die Frauen und die Welt von heute«.

»Tabak. Oder warum Sie mit dem Frauen morden aufhören sollten« ist ein beeindruckendes Stück, mit einem unerwartet kraftvollen Ende. Politisch klar, sprachgewandt und, trotz des schweren Themas, ohne Angst davor, auch unterhaltsam zu sein. Es umkreist nicht nur den Mord und die vielfache Leere, die die Gewalttat hinterlässt. Es kreist auch unbemerkt die Täter*innen ein, ja, Pural, ja, *innen: die Gesellschaft, die den Frauenmord begünstigt, die die Bedingungen dafür schafft und stabil hält.

Schauspiel Essen, 9., 12., 14.1., 20 Uhr