»Ein anderes Milieu«
Die Linke bekommt Konkurrenz, auch in Köln. Das ein Jahr alte »Bündnis Sahra Wagenknecht« (BSW) um die namensgebende Bundestagsabgeordnete will sich in der Stadtpolitik etablieren. Eigentlich wollte man auch schon einen Ortsverband gegründet haben, doch die kurzfristig angesetzte Bundestagswahl kam dazwischen, erzählt Carolin Butterwegge, ehemaliges Mitglied der Linken. 2022 wollte sie als Spitzenkandidatin in den NRW-Landtag. Die Partei scheiterte an der Fünfprozenthürde. 2024 trat sie aus und in das BSW ein. Butterwegge lebt in Köln und ist mit Christoph Butterwegge verheiratet, Armutsforscher, selbst kein Parteimitglied, aber 2017 Kandidat für die Linke bei der Bundespräsidentenwahl.
Carolin Butterwegge wird nicht für die Bundestagswahl antreten, hat aber die Kommunalwahlen fest im Blick. »Wir haben in Köln einen tollen Kreis von Aktiven aufgebaut«, sagt sie. 15 Mitglieder gebe es, dazu ein paar Dutzend Unterstützer*innen. Das überschaubare Wachstum sei gewollt, um die Strukturen im Aufbau nicht zu überlasten. Noch kann die Partei zum Beispiel ihre Kandidat*innen ohne Delegiertensystem bestimmen. Erste Zahlen für Köln lieferte die Europawahl im Sommer (BSW 4,2 Prozent, Linke 4 Prozent).
Lokalpolitische Erfahrung gibt es in den Kölner Reihen. Butterwegge selbst saß für die Linke im Jugendhilfe- und im Schulausschuss. Franco Clemens, prominenter Streetworker, sitzt als Sachkundiger Einwohner in Ratsausschüssen. Jetzt gehört er zum BSW-Landesvorstand und steht auf der Landesliste für die Bundestagswahl, ebenso ein weiterer Kölner, der Gewerkschaftssekretär Benedikt Frank. Spitzenkandidatin in NRW ist Wagenknecht selbst.
Clemens und Butterwegge begründen ihren Schritt mit der Bundespolitik. »Ich mache mir ernsthaft Sorgen um den sozialen inneren Frieden«, sagt Clemens. Die Linke habe sich von ihrer Stammwählerschaft, den Arbeiter*innen, entfernt. Die Partei setze gerade in Uni-Städten stärker auf »feministische und queere Politik«, das sei beim BSW weniger ausgeprägt, sagt Butterwegge. »Das BSW spricht ein anderes Milieu an. Wir sind alle ein bisschen älter, aber auch vielfältig.«
Eine gemeinsame Fraktion mit der Linken wie anderswo hält Butterwegge für vorstellbar. Wenn sie Ziele nennt wie Bildungsgerechtigkeit und eine sozial gerechte Stadtentwicklung, klingt das plausibel. Dennoch dürfte das nicht einfach werden.
Das BSW ist eine populistische Organisation, die auf Kosten von Migranten Stimmen generieren willMichael Weisenstein, die Linke
Butterwegge selbst markiert einen zentralen Unterschied, der auch lokalpolitisch relevant ist. Sie fordert eine »konsequente Steuerung der Neuzuwanderung«. Alle Menschen mit Bleiberecht müssten geschützt und sozialstaatlich unterstützt werden. Die Genfer Flüchtlingskonvention müsse eingehalten werden. Aber die Zuwanderung sei eine »Riesenherausforderung« für Kommunen und Menschen, die sich um die eigene Zukunft sorgen. Fehlende Kita- und Schulplätze, marode Schulen und Sportstätten, Mangel an bezahlbaren Wohnungen: »Wenn neue Menschen hinzukommen, verstärkt das den Druck«, sagt sie.
Die gesellschaftlichen Institutionen seien überfordert und das müsse ernst genommen werden. Manche kommunale Ausländerbehörde habe »ihre Hausaufgaben nicht gemacht«. Sie führt den Attentäter in Solingen als Beispiel an. Er hätte vor seiner Tat abgeschoben werden sollen, konnte aber nicht ausfindig gemacht werden. Trotzdem will sie die Unterschiede zu ihren früheren Genoss*innen nicht an der Migrationspolitik festmachen.
Michael Weisenstein, einer von aktuell sechs Ratsleuten der Linken, will das hingegen schon. Er nennt das BSW eine »populistische Organisation, die auf Kosten von Migranten Stimmen generieren will«. Jörg Detjen, Urgestein im Kölner Rat, sagt, Streit zwischen internationalistischen und national-konservativen Strömungen habe es in der Partei immer schon gegeben, ebenso Protestwähler*innen, die die Linke trotz ihrer Migrationspolitik gewählt hätten. Der jüngste Zulauf zeige aber, dass man sich um die Linke keine Sorgen machen müsse. Die Geschäftsstelle verzeichnete im vergangenen Jahr 250 Zu- bei 70 Abgänge.
Einen Umbruch im Rat gibt es in jedem Fall. Vier Mandatsträger*innen der Linken, darunter Weisenstein und Detjen, treten nicht mehr an. Alle geben private Gründe dafür an. Heiner Kockerbeck will sein Mandat verteidigen und beobachtet mit der Abspaltung des BSW eine gewisse Erleichterung, auch bei anderen Fraktionen, mit denen man bislang konstruktiv zusammengearbeitet habe. Eine Kooperation mit einer möglichen BSW-Fraktion hält er indes für »schwer vorstellbar«.