Großer Entwurf und die Frage: Welche Ideen setzen sich durch?

Der Brutalist

Brady Corbets Epos verknüpft Ideen zu Architektur und Kunst mit Nachkriegsgeschichte und sozialen Fragen

Das US-amerikanische Kino ist seit jeher am stärksten, wenn es die Wahrheit hinter den Freiheitsversprechen des Amerikanischen Traums schonungslos offenlegt. Brady Corbet begibt sich mit »Der Brutalist« in diese große filmische Tradition. Man denkt an das New-Hollywood-Kino oder Paul Thomas Andersons »There Will Be Blood« — Corbet erzählt in die Breite, man spürt von Beginn an ein großes Gewicht. Der Regisseur will Kunst machen, und er macht kein Geheimnis daraus.  

Vordergründig erzählt »Der Brutalist« die Migrationsgeschichte des ungarischen Architekten László Tóth, der zwischen Obdachlosenheim, Heroin­abhängig­keit und einem lukrativen Auftrag des Plutokraten Harrison Van Buren verschiedene Facetten des Landes der unbegrenzten Möglich­keiten erfährt. Zwischen den Bildern zeigt Corbet einen Kontinent am Abgrund und fragt, ob der titelgebende architektonische Stil nicht doch den Seelenzustand der kapitalistischen Weltsicht beschreibt.

Die Handlung mäandert als fiktives Biopic zwischen verschiedenen Strängen der Nachkriegsgeschichte. Corbet inszeniert mit einer eigenwilligen Sicher­heit, findet einen betörenden Rhythmus. Besonders eine Sequenz in den Marmorsteinbrüchen von Carrara beeindruckt durch die schiere Wucht der Bilder, die ein Gefühl der Verlorenheit ausdrücken, für das es keine Worte gibt.

Dabei verbinden sich Ideen zu Kunst und Architektur mit Fragen zu sozialer Ungleichheit, Rassismus, Antisemitismus oder dem Fortleben von geschicht­lichen Traumata in einer Gesellschaft. Der Blick auf die USA durch die Augen des fremden Architekten ist kein schöner. Egal, ob er in Gemein­schafts­bädern hinter versifften Vorhängen kniet, um sich eine Spritze zu setzen, oder beim Dinieren mit goldenen Löffeln daran erinnert wird, dass sein Akzent klinge wie der eines Schuhputzers. Egal, ob seine Kunst für frag­würdige Zwecke ausgehöhlt oder er am Boden liegend vergewaltigt wird. Tóth würde nicht überleben, wäre da nicht seine Frau und sein archi­tek­to­nisches Groß­projekt. Corbet begibt sich in fast anachronistische Traditions­linien, indem er das männliche Genie gegen sämtliche Wider­stände antreten lässt.

Corbet inszeniert mit eigenwilliger Sicherheit, findet einen betörenden Rhythmus

Das Unterfangen des Films ist so größenwahnsinnig wie es klingt, bereitet aber durchaus Freude. Das liegt auch an der inneren Spannung, die sich in fast jeder Einstellung hält. So berauschen nicht nur die sich nah an den Körpern bewegenden Aufnahmen vor einer schief im Bild hängenden Freiheitsstatue auf dem in New York eintreffenden Schiff, in dem Adrien Brody in einer seiner besten darstellerischen Leistungen bereits zu Beginn des Films am Abgrund torkelt, sondern auch scheinbar beiläufige Zwischen­bilder, denen überraschende Aufmerksamkeit geschenkt wird. Jede Neben­figur wird etwas länger betrachtet als üblich, auf jeder Landschaft verharrt der Blick, alles erzählt eine Geschichte. Das ist nicht bloß Wille zur Kunst, dahinter steckt die Überzeugung, dass sich die Wirklichkeit eher über Eindrücke als über Handlungen festhalten lässt.

Die epische Erzählweise von »Der Brutalist« spannt einen Bogen über mehrere Jahrzehnte, um der Entstehung eines gigantischen Bauwerkes für die Gemeinde beizuwohnen. Doch eigentlich zählt das, was im Verhältnis Tóths zum gönnerhaften Van Buren steckt, gespielt mit wankelmütiger Arroganz von Guy Pearce. Die gezeigten Mechanismen zwischen Macht und Begehren, Besitzanspruch und Ehrgeiz sind komplex angelegt, dennoch steuert der Film auf ein erstaunlich plattes Ende hin, in dem die Holo­caust­vergangen­heit der Protagonisten für einen manipulativen Plot Point miss­braucht wird. Ob diese zunehmend deutlicher hervortretende Leere nun eine Zustands­beschreibung der USA ist oder schlicht einen Spiegel auf die Gehaltlosigkeit des Films wirft, liegt wohl im Auge des Betrachters. Der angedeutete Triumph der Kunst über das Leben wirkt jedenfalls wie eine leere Geste und steht in ihrer Hinwendung an Ayn Rand und vergleichbare Beschwörungen männlichen Durchsetzungsvermögens in erschreckender Nähe zu dem, was der Film anderswo verdammt: die arrogante Selbst­verständ­lich­keit US-amerikanischer Werte.

(The Brutalist) USA/UK/H 2024
R: Brady Corbet, D: Adrien Brody, Felicity Jones, Guy Pearce
215 Min., Start: 30.1.