Als der Jazz vom Himmel fiel © Grandfilm, Harry Pot Anefo, Nederlands Nationaal Archief

Soundtrack to a coup d’etat

Johan Grimonprez zeigt den Einsatz von Jazz als Waffe durch US-Geheimdienste

Februar 1961: Die Sängerin Abbey Lincoln, der Schlagzeuger Max Roach und die Schriftstellerin Maya Angelou stürmen mit 60 Protestierenden den UN-Sicherheitsrat, um gegen die unrühmliche Rolle der Vereinten Nationen bei der Ermordung von Patrice Lumumba zu protestieren. Der linksnationalistische Politiker und Verfechter des Panafrikanismus, 1960 bei der Parlamentswahl zum ersten Präsidenten der neuen unabhängigen Demokratischen Republik Kongo ­gewählt, war nach nur dreimonatiger Amtszeit einem Komplott zum Opfer gefallen — unter Be­teiligung der USA sowie der ­belgischen Regierung.

Ausgehend von diesem Ereignis zeichnet der belgische Multimediakünstler und Filmemacher Johan Grimonprez eine atemlose Chronik des Vorjahres, in dem immer mehr afrikanische Staaten mit Unterstützung der sozialis­tischen Regime den Aufstand ­gegen die europäischen Kolonialmächte wagten. Die imperialistischen Mächte und ihre Geheim­dienste suchten daraufhin ihre Einflusssphäre gegen die UdSSR mit allen Mitteln zu verteidigen. Zum Einsatz kam dabei auch der Jazz.

Grimonprez lässt Archivaufnahmen, Fotos und ins Bild eingeblendete Zitate mit Musik, Ori­ginaltönen und Auszügen aus Memoiren und historischen Berichten regelrecht aufeinander prasseln. Im Fokus der rasanten Montage stehen die Bestrebungen der USA, den Jazz als »coole Waffe« für ihre geopolitischen Interessen zu nutzen. Während in den meisten Teilen des Südens der Vereinigten Staaten noch die Segregation herrscht und Präsident Eisenhower nach einem Umgang mit dem wachsenden Einfluss von Bürgerrechtsaktivisten wie Malcom X sucht, werden Musikgrößen wie Louis Armstrong, Nina Simone und Dizzy Gillespie als »Jazz-Botschafter« der westlichen Welt nach Afrika geschickt. »The Skydiving Phonograph« titelte 1955 die New York Times und versprach: »Mit pro-amerikanischer Musik vom Himmel abgeworfen, kann der 300g Plattenteller helfen, den Kalten Krieg zu gewinnen«. Bei seinem Konzert in Accra, Ghana, spielt »Satchmo« vor 100 000 Menschen, Nina ­Simone ist in Nigeria unterwegs, ahnungslos, dass sie sich auf einer Mission der CIA befindet. Statt Ordnung und Übersicht sucht Grimonprez Mehrstimmigkeit und Überforderung.
»Soundtrack to a coup d’etat« macht sich dabei nicht nur die ­aktivistische Agenda zu eigen, sondern sucht in seiner polyrhythmischen Form auch selbst die Nähe zum Jazzstück.

B/NL/F 2023, R: Johan Grimonprez, 150 Min., Start: 6.2.