»Breathing Ritual«: Gagen und Spenden gehen an die zwei einzigen Autonomen Frauenhäuser in Köln, Foto: Martin Roggenkolber

Ekstatisch, wild, utopisch

Das Urbäng Festival bespielt vom 12. bis zum 15. Februar die Alte Feuerwache — mit einem politischen Breathing Ritual, einem szenischen Punkkonzert und hochkarätigen Tänzer*innen

Laut ist das Urbäng Festival schon immer gewesen. Ekstatisch, wild, utopisch. Man frönte der Tanzwut, man tanzte mit dem Monströsen, brachte eine queere Modenschau auf die Bühne, wurde mit einem »Handbuch zum Überleben in einem männlichen Territorium« auf einen Spaziergang geschickt und diskutierte bei Live-Sexchats über das Patriarchat. Auch in diesem Jahr wird das Urbäng Festival mit einem experimentellen Programm stattfinden — und einem besonderen Anlass, denn die Freihandelszone, die das Festival kuratiert, ­feiert ihr 20-jähriges Jubiläum. Fast so lange gibt es auch das Festival bereits.

In einer Zeit, in der es für die Freie Szene in Köln kaum Strukturen gab, nur wenige Bühnen oder Veranstaltungsreihen, gründete sich das Ensemblenetzwerk von A.TONAL.THEATER, Futur3, MOUVOIR und WEHR51. »Die Freihandelszone ist in einem Vakuum entstanden, und dass wir als Künstler*innen zusammengeblieben sind, obwohl wir inhaltlich und ästhetisch extrem unterschiedlich sind, ist für die Freie Szene in Köln ein kleines Wunder«, sagt die Choreografin Stephanie Thiersch von MOUVOIR. »Für das Programm in diesem Jahr haben wir uns daher auf Positionen, Künstler*innen und Stücke konzentriert, die uns inspirieren, die wir schon lange verfolgen, aber in Köln noch nicht oder zu wenig präsent sind.«

Stattfinden wird das Urbäng Festival in diesem Februar nicht wie sonst im Orangerie Theater, weil dort Umbauten stattfinden, und auch die Idee, das Interim des Schauspiels zu bespielen, wurde verworfen, weil der Planungsprozess zu lange dauerte. Stattdessen ist das Urbäng Festival in der Alten Feuerwache und zeigt sein Programm in der Halle, im Offenen Treff und im Atelier unter dem Dach. »Zur Eröffnung wird es eine Community Performance geben, das Breathing Ritual, das ich für die Ruhrtriennale gemacht habe, und in der ich Tanzschaffende und Gäste einlade, teilzunehmen«, sagt Stephanie Thiersch. 18 Minuten dauert diese mitreißende Performance, ein Ritual gegen Gewalt gegen Frauen. »Es hat sich gezeigt, dass die zunehmende Gewalt gegen Frauen nicht, wie häufig gesagt, eine Folge der Pandemie ist, sondern die Übergriffe danach nur noch weiter zugenommen haben. Es gibt Forschungen, die einen Zusammenhang herstellen zu der rechten Stimmung im Land.«

Die Gagen der Performer*innen werden an die zwei einzigen Autonomen Frauenhäuser in Köln gespendet, die in ihrer ohnehin schon prekären finanziellen Lage von weiteren Kürzungen betroffen sind. Anschließend findet ein Gespräch mit dem Titel »Vor der Wahl?« mit der Autorin Kathrin Röggla (»Laufendes Verfahren«) und dem Videokünstler Marcel Odenbach statt, der sich in seinen Arbeiten intensiv mit Diskriminierung und Rassismus auseinandersetzt. »Wir sind Mitte Februar, wenn das Festival stattfindet, kurz vor der Bundestagswahl und Trump tritt als US-amerikanischer Präsident an«, sagt Stephanie Thiersch. »Das wollten wir aufgreifen und über die Kürzungen in der Kunst, aber auch die Angriffe auf die Kunst diskutieren.«

Tag zwei des Festivals wird sich mit Inklusion beschäftigen, im Rahmen eines Workshops und einem »szenischen Punkkonzert« vom RambaZamba Theater aus Berlin: Die Hausband des Theaters für Menschen mit und ohne Behinderung bearbeitet in ihrer Pop-Oper Alban Bergs »Wozzeck« und peitscht dem Publikum Orchesterfetzen, Melodie-Fragmente und Librettoschnipsel um die Ohren, auf der Bühne performt die Puppenspielerin Hannah Elischer den Wozzeck.

Dass wir als Künstler*innen zusammengeblieben sind, obwohl wir inhaltlich und ästhetisch extrem unterschiedlich sind, ist für die Freie Szene in Köln ein kleines ­WunderStephanie Thiersch

Den Bogen zum Gespräch am Eröffnungstag schlägt »Necromancy« von Kristóf Kelemen, eine 30-minütige mystische Séance mit VR-Brille, die sich anhand der ungarischen Geschichte mit der Frage auseinandersetzt, wie lange es in einer Diktatur möglich ist, sich einen Freiraum zu erschaffen. Erzählt wird davon, wie vor 50 Jahren der ungarische Staat die Kunstszene kontrollierte, wie viele Künstler*innen verboten wurden und die lokalen Neo-Avantgarde-Bewegungen in einer kleinen Kapelle in Balatonboglár Unterschlupf fanden. Anschließend findet das groteske Solo »Nuggets« von Maxim Storms statt: Inmitten eines komplett zerfledderten Universums, inmitten von größtem Chaos, versucht eine letzte Seele, geschminkt wie ein Buster-Keaton-Clown, stur ihr verbliebenes Dasein zu formen.

Der krönende Abschluss des Urbäng Festivals: »Trajall Harrell ist im Bereich Tanz und Choreografie ein Superstar, tritt auf den ganzen Mega-Festivals auf und hat gerade in Venedig den Löwen gewonnen«, sagt Stephanie Thiersch. In seinem Solo, das er selbst tanzt, beschäftigt er sich mit dem Titel »Dancer of the Year«, den er vor einigen Jahren verliehen bekam, und untersucht seinen Tanzstil und die Erotik und Exotik, die ihm als afroamerikanischen Mann häufig zugeschrieben werden. Die Künstlerin Nadia Beugré von der Elfenbeinküste stellt in ihrer nachfolgenden Performance »L’homme rare« (»Der seltene Mann«) auf sehr subtile und humorvolle Weise Geschlechterzuordnungen auf den Kopf, wenn sie zwei weiße und drei schwarze Männer nackt auf die Bühne stellt, aber immer mit dem Rücken dem Publikum zugewandt. »Wenn man Menschen von hinten sieht, darf man sie ja auch verwechseln — und das macht hier das Spiel mit Stereotypen aus«, sagt Stephanie Thiersch.

Während der kompletten Festivaltage wird im Atelier im Dachgeschoss der Alten Feuerwache eine Installation gezeigt, eine Langzeitrecherche von Stephanie Thiersch, die sich mit Trauerritualen und Klagelieder in verschiedenen Kulturen beschäftigt. »Angefangen haben wir während Corona mit einer Spurensuche nach diesen Ritualen in Griechenland und Korea. Im vergangenen Jahr waren wir dann in einer Stadt in Indien, von der es heißt, man könne den unendlichen Kreislauf der Wiedergeburt durchbrechen, wenn man dort stirbt. Es gibt dort ein regelrechtes Geschäft rund um diese Zeremonien«, erzählt Stephanie Thiersch.

Nur eines wird man während des Urbäng Festivals in diesem Jahr vermutlich vermissen: Den Garten des Orangerie Theaters, der sich während der vergangenen Jahre des Festivals in einen Dschungel mit Lagerfeuer verwandelte. Doch für einen Ersatz ist gesorgt: Die Halle wird mit Unterstützung der Alexianer Klostergärtnerei verwandelt und zum Zentrum des Festivals erklärt. »Her kommen, ein Stück anschauen und wieder gehen, das funktioniert beim Urbäng Festival nicht«, sagt Stephanie Thiersch am Ende des Gespräches noch lachend. »Und genau das, diese ständige Suche nach Austausch und Zusammenkommen macht das Festival so besonders.«