Liebe durch Drastik
Als Feridun Zaimoglu 1995 mit seinem Debütroman in Erscheinung trat, brachte er sein Idiom mit. »Kanak Sprak« war in einem aggressiv-drastischen, hochcodierten und bewusst überzeichneten, fiktionalen »Gastarbeiterdeutsch« geschrieben. Mit dieser expliziten Künstlichkeit ironisierte Zaimoglu Projektionen auf seinen türkischen Background, ohne aber die Sprechposition zu verneinen, die damit einhergeht. Heute ist »Kanak Sprak« Teil des deutschen Kanons und ein um 30 Jahre gealterter Zaimoglu schreibt weiter über seine Lebensthemen.
»Sohn ohne Vater« ist ein Text, wie man ihn in der zweiten Lebenshälfte schreibt. Er erzählt von einer Reise, die Zaimoglus Roman-Ich nach dem Tod seines Vaters an dessen Grab in der Türkei unternimmt. Und natürlich ist es zugleich ein Text über den Vater selbst — von seinen beeindruckenden Koteletten über seine Rassismuserfahrungen »im Betrieb« bis zu seiner Prinzipienfestigkeit im zwischenmenschlichen Umgang, wo ihm Getratsche und Niedertracht zuwider waren. In einer beeindruckenden Szene schildert Zaimoglu, wie sein Vater den schreibenden Sohn vor einer Journalistin in Schutz nimmt, die ihm Betrug beim Medizinstudium nachweisen konnte. »Er hat uns für einige Zeit die Hoffnung nicht nehmen wollen«, sagt der Vater, der selbstverständlich gerne einen Arzt als Sohn gehabt hätte.
Um den Schmerz des Verlustes zu unterstreichen, lässt Zaimoglu immer wieder die Drastik hervorbrechen, für die er bekannt geworden ist. »Vater ist tot, ich lebe«, heißt es an einer Stelle über die Schuldgefühle des Überlebenden: »Müsste ich mir die Kehle durchschneiden? Ich habe einen schmutzigen Kinderhals.« Auch wenn Zaimoglu auf seiner Reise bei Fremden übernachtet, empfindet sein Roman-Ich überspitzte Ängste und Befürchtungen — so als würde er mit den Vorurteilen seines bildungsbürgerlichen Publikums spielen.
All dies schmälert aber nicht die emotionale Ehrlichkeit, die tiefe Trauer und die aufrichtige Bewunderung, die sich durch »Sohn ohne Vater« zieht. Denn welche Hommage könnte respektvoller sein, als ein verstorbenes Familienmitglied mit allen Mitteln seiner literarischen Fähigkeiten zu würdigen?
Feridun Zaimoglu: »Sohn ohne Vater«, KiWi, 288 Seiten, 24 Euro