In der Rolle seines Lebens

»Like A Complete Unknown« von James Mangold

James Mangold porträtiert den jungen Bob Dylan als Künstler, der all seine Fesseln abstreift

In »Like A Complete Unknown« wirkt es als deutlicher Fingerzeig: einzelne Dialoge heben die Marke und Typenbezeichnung jenes Motorrads hervor, auf dem der Protagonist zum Schluss davonbrausen wird. Damit ist klar, dass Regisseur James Mangold, der bei seinem 13. Spielfilm auch als Koautor des Drehbuchs firmiert, dem Publikum ein Vorwissen über jenen Unfall unterstellt, den Bob Dylan Mitte 1966 mit solch einem Motorrad erleiden und als biografischen Einschnitt erleben sollte. Im Umkehrschluss heißt das wiederum, dass der 60-jährige US-amerikanische Filmemacher auch darauf zählt, dass wir Zuschau­er*in­nen mit dem vorigen, in diesem Biopic behandelten Abschnitt von Dylans Karriere mindestens grob vertraut sind.

Die lineare Handlung beginnt damit, dass der noch unbekannte Sänger 1961 in New York ankommt, um seinem schwer erkrankten Idol, dem Folkmusiker Woody Guthrie, seine Reverenz zu erweisen. Dabei lernt er gleich auch dessen Kollege und Freund Pete Seeger kennen und wird von diesem unter die Fittiche genommen. Es folgen Auftritte in Musikklubs, Plattenaufnahmen und Starruhm sowie eine konfliktreiche Liebesbeziehung zu der schon zuvor erfolgreichen Joan Baez — bis Dylan dieses soziale Umfeld inklusive Fans beim Newport Folk Festival 1965 vor den Kopf stößt, indem er und seine Begleitband mit elektrischen Instrumenten einen neuen Sound zelebrieren.

Dabei versteht es sich von selbst, dass manche Tatsache verdichtet oder gar fiktionalisiert wird. In den vielen Biografien ist etwa nachzuschlagen, wie weit die dramaturgischen Freiheiten sich in der Zeichnung einer Freundin niederschlagen, die hier Sylvie Russo genannt wird. Allerdings erreicht die Dramaturgie so eine Klarheit und Pointiertheit, dass sie uns die betriebene Legendenbildung unweigerlich bewusst macht — was zugleich den eigentlichen Reiz dieses gediegenen Films ausmacht.

»Like A Complete Unknown« webt nicht nur am Dylan-Mythos, sondern strickt auch die allgemeinere, romantische Legende weiter, dass wirkliche Kunst völlige Ungebundenheit verlange. Dabei werden die politischen Implikationen verwässert, wenn der Marxismus von Dylans Folk-Vorbildern diskret verschwiegen wird. Doch die herzzerreißend schöne Zeichnung von Seeger lässt durchaus die ­Vorzüge eines anderen Kunstverständnisses erahnen.

(A Complete Unknown) USA 2024, R: James Mangold, D: Timothée ­Chalamet, Edward Norton, Elle ­Fanning, 140 Min., Start: 27.2.