Sandsäcke als Schutzwall: »Der Bau« von Zafer Tursun, Foto: Oliver Strömer

Tier-Werden

Zafar Tursuns Fassung von »Der Bau« arbeitet sich an einer der komplexesten Parabeln Kafkas ab

Es ist den Leser*innen nicht ersichtlich, was da zu uns spricht. Ist es etwa ein Tier — vielleicht eine Art Maulwurf, das in der späten Parabel Kafkas manisch immer weitere Gänge in einen undurchschaubaren Bau gräbt? Oder ist es doch ein Mensch, der sich so sehr fürchtet vor dem, was da jenseits seiner Gänge angeblich zu liegen scheint?

Typisch für Kafkas Tierparabeln bleibt das offen. So schreiben Gilles Deleuze und Félix Guattari in ihrem Essay »Kafka. Für eine kleine Literatur«, dass es sich bei den Wesen immer um ein Mensch-Werden des Tiers und gleichzeitig auch um ein Tier-Werden des Men­schen handelt. Diese Form der Verwandlung ist dabei nie Metapher, Symbol oder Allegorie: »Es ist ein Ensemble von klar unterschiedlichen Zuständen, die der Mensch durchläuft, während er einen Ausweg sucht.« So wird für die Leser*innen der Bau zu einem unüberblickbaren Konstrukt, in dem man sich verliert.

Die Erzählung über die Bühne darzustellen, scheint besonders schwierig. So haben sich einige vergangene Fassungen auf die monologische Darstellungsform konzentriert und überließen den Rest ganz der Fantasie der Zuschauer*innen. Oder aber sie vertikalisierten den Bau und machten aus der Bühne damit ein Terrarium, was das Publikum stärker vom Stoff distanziert.

Die Fassung von Zafer Tursun im Theater der Keller geht einen anderen Weg: Hier wird eine bestimmte Interpretation der Erzählung visuell hervorgehoben. In der Mitte der Bühne sind Sand­säcke aufgetürmt, und es kommt immer wieder zu Textpassagen, die mit militärischer Betonung vorgetragen werden (besonders die von Chaymae M’stfa). Die für den Krieg notwendige manische Ideologie eines  »äußeren Feindes« gegen den man sich um jeden Preis schützen muss, kann so in die Parabel hineingelesen werden. Das Wesen wird dabei aber teilweise durch Projektionen von Videoaufnahmen der beiden Hauptdarsteller*innen, die sich die Rolle teilen, und gerade durch das Spiel von Thomas Barndt psychologisiert.

Dadurch wirkt das Stück durch die unterschiedlich verwendeten Ausdrucksmittel stellenweise über­laden. Die offene Parabel über eine Interpretation auf die Bühne zu bringen, ist dabei nicht das Problem (gerade das gelingt an vielen Stellen), sondern die manchmal durchscheinende Unentschlossenheit, mit welcher ­Gewichtung und in welcher Form.

Theater der Keller, 22.3., 20 Uhr

 

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