Das Jazz-Kraftwerk
Ein PowerHouse — das sind Menschen, die vor Energie strotzen, die Bock haben, den inneren Motor laut aufheulen zu lassen, oder wie Hermes Villena über sich sagt: »Ich gebe immer Gas.« Die Ergebnisse dieser selbstverordneten kulturellen Direkteinspritzung kann man bereits seit mehreren Jahren in der Stadt verteilt sehen.
Der gebürtige Bolivianer, der zwischen Brasilien und Bensberg aufwuchs, war Teil des Come-Together-Kollektivs, das Events zwischen Street Art, Urban Culture und nachbarschaftlicher Block Party in Köln realisiert hat; davor und danach organisierte er weitere schicke Hang-Outs im Club Stecken oder in seinen eigenen vier Wänden, legte in den Clubs und Bars der Stadt auf, jobte noch im Plattenladen und eröffnete in der U-Bahn-Station am Ebertplatz einen Kunstort namens »≈5«, der aus zwei Schaufenstern besteht. Was Hermes ausmacht, ist seine mitreißende, offene Art, der man sich nur schwer entziehen kann — und das prädestinierte ihn als Booker für das Wochenend-Programm, als das neue King Georg-Team 2019 die Geschäfte vom vorherigen Besitzer André Sauer übernahm. Dort gilt die Regel: Wo unter der Woche die traditionelleren Klänge des Straight-Ahead den Ton angeben, frönt man am Wochenende der »jazz-related Musik« — ein weites Feld, das Villena schon lange interessiert: »In den letzten zehn Jahren kam aus dem Jazz und seinen Randbereichen für mich die spannendste Musik«, erklärt er im Gespräch. Die Bookingbemühungen kamen allerdings sehr prompt zum Erliegen, als die weltweite Corona-Pandemie zu Lockdown und Clubschließungen führte.
Seitdem die Clubs dank gesellschaftlicher Anstrengungen wieder geöffnet werden können, bucht Villena mit nie nachlassendem Engagement Acts, die mal näher am Jazz, mal näher an R&B sind, die auch für elektronischen Pop oder Postpunk stehen. Er selbst subsumiert sie alle unter dem Label »Kreative Musik« — dies sei nun auch die Stoßrichtung des ersten eigenen Labels PowerHouse. Nein, ein King-Georg-Plattenverlag sei PowerHouse« trotz gedanklicher Unterstützung und Manpower nicht: »Es gibt Schnittpunkte zwischen den Konzerten und dem Label; aber ins King Georg buche ich auch Bands, die nicht auf’s Label passen würden — und andersrum gilt dasselbe.«
In den letzten zehn Jahren kam aus dem Jazz und seinen Randbereichen für mich die spannendste MusikHermes Villena
»MGQ — live im King Georg, Köln« des Muriel Grossmann Quartetts ist dennoch ein Ergebnis der Vereinigung beider Kräfte. Immerhin verbirgt sich dahinter doch ein Livekonzert-Mitschnitt der auf Ibiza resierenden Spiritual-Jazzmusikerin Grossmann. »Eigentlich ist das ein Zufall, da ich für den ersten Release etwas ganz anderes im Sinn hatte. Diese Produktion stellte sich dann aber als schwieriger und letztlich unrealisierbar heraus.« Ein kleiner Rückschlag, der den abenteuerlustigen Kulturkopf nur kurz aufhalten sollte: »Als Muriel am 11. November 2022 im King Georg spielte, war mir sofort klar, dass es sich hier wirklich um das diskografisch unverzichtbare Album Live at... handelte. Und da wir während der Corona-Zeit professionelles Aufnahmequipment gekauft hatten, um unser Live-Stream-Programm machen zu können, hatten wir glücklicherweise an dem Abend alles aufgenommen.« Das Ergebnis gibt es ab März im Plattenladen zu kaufen, wobei die erste Fuhre — inklusive exklusiver Künstleredition des Malers Tom Król — bereits im Vorverkauf komplett über die digitale Ladentheke des Online-Händlers Bandcamp ging. »Ich bin so froh, dass man direkt vom Start weg erkennt, was ich mit dem Label machen möchte: Drucke von befreundeten Künstlern; Musik, die sich nicht einschränkt; die Vinylplatte auch als Gesamtkunstwerk und Inspiration wahrnehmen.« Da traf sich gerade gut, dass »MGQ- Live im King Georg, Köln« das erste Live-Album in der Karriere der 1971 geborenen Österreicherin Grossmann ist.
Hermes’ Ziel sei es, die Platten zu veröffentlichen, die es sonst nicht geben würde; dazu gehören neben solchen Novitäten vor allen Dingen der Afro-Latin-Sound, der außerhalb der Amerikas immer noch eine Nebenrolle spielen würde. Die nächste oder übernächste Platte würde zeigen, was er damit meine. Villena trinkt seinen Kaffee aus, winkt hastig zum Abschied, er müsse jetzt los »Kinder abholen, später zum Konzert ins King Georg und noch wegen der nächsten Veröffentlichungen ein paar E-Mails schreiben.« Typisch PowerHouse halt.
Tonträger: Muriel Grossmann, »MGQ Live im King Georg, Köln« (PowerHouse Records)