Parasites Ensemble im Stück »BD$M«: Kunst gegen die AfD, © Parasites Ensemble

Der Druck nimmt zu

Hassmails, Morddrohungen, gestrichene Gelder: Seit Jahren sind die Theater rechtspopulistischen Übergriffen ausgesetzt. Wie groß ist die Gefahr, die von der AfD ausgeht?

»No fucking excuse.« Das schrieb kurz nach der Bundestagswahl 2017 Bernd Schmidt, Intendant des Berliner Friedrichstadt-Palastes, in einer internen Mail an sein Ensemble. Wer AfD wähle, schrieb Schmidt, der wisse, dass er damit auch Nazis in den Bundestag wähle. Wer das aus Angst oder Sorge oder Protest in Kauf nehme, sei ein Brandstifter und Mittäter. »No fucking excuse.« Und das — das war’s dann. Die Mail wurde öffentlich, verschiedenen Medien berichteten und Bernd Schmidt bekam nun selbst Post. Hassmails, Morddrohungen, rund 600 insgesamt. Kurze Zeit darauf musste der Friedrichstadt-Palast während einer Veranstaltung geräumt werden, eine Bombendrohung war eingegangen, Hintergrund: unklar.

Die Liste rechtsextremistischer Übergriffe oder Einschüchterungsversuche durch die AfD gegen Theater ist lang. Da ist das Theater Paderborn, das 2018 vom AfD-Kreisverband aufgrund einer Grafik im Programmheft wegen Verleumdung und Volksverhetzung angeklagt wurde. Da ist Stuttgart, 2019: Die AfD-Landtagsfraktion wollte vom zuständigen Ministerium wissen, welche Staatsangehörigkeiten die Künstler*innen auf Landesbühnen haben. Da ist das Theater Schwaben, das die AfD 2021 als »staatlich ­finanzierten institutionalisierten Linksextremismus« bezeichnete, und da ist Aalen, 2024, wo die AfD das Theater gleich ganz zu schließen beantragte. Es sei ein »Luxus«, der eingespart werden müsse.

»Der ganze zeitgenössische Theaterbetrieb scheint der AfD etwas suspekt zu sein«, schreibt der Journalist Peter Laudenbach im August 2024 in der Süddeutschen Zeitung. Seit Jahren dokumentiert er rechtspopulistische Attacken auf Theater, in seinem SZ-Artikel seziert er kulturpolitische Wahlprogramme der AfD. In keinem, so Laudenbach, fehle die Unterstellung, der Kulturbetrieb und vor ­allem die öffentlich getragenen Theater seien ideologisiert, fern der »deutschen Identität« und ihrer »Brauchtumspflege«. Undefiniert bleibt zwar, was die viel beschworene »deutsche Identität« ausmacht, ganz sicher geht es dabei aber um »die ursprüngliche Kultur unserer Heimat«, die erhalten werden müsse, etwa durch »Trachten, Sagen und Gedichte«. Laudenbachs Kommentar: »Adorno hatte für solche Heimattümelei in seinem »Jargon der Eigentlichkeit« den schönen Begriff der Blubo-Freunde. Blubo steht für: Blut und Boden.«

Doch für die Theater könnten die »Blubo-Freunde« gefährlich werden. Im sächsischen Landtag ging die AfD-Fraktion bereits soweit zu fordern, »den Kulturbetrieb von seinen ideologischen Fesseln zu befreien«: Die steuergeldfinanzierte Förderpraxis für Theaterkarten solle überdacht und die Bezuschussung an die ­tatsächliche Nachfrage der Besucher*innen angepasst werden. Peter Laudenbach sieht dies als »unverholene Drohung«, mit der man Theatern die Zuwendungen streichen will, die nicht dem AfD-Geschmack entsprechen. »Damit zielt die AfD unter umgedrehtem Vorzeichen genau auf die Ideologisierung des Theaters, die sie den weltoffenen, liberalen Bühnen vorwirft.«

Schließlich, im September 2024, gelang es der AfD sogar eine Kulturinstitution selbst zu bespielen. Wenige Wochen nach ihrem Bundesparteitag hielt sie in der Philharmonie Essen einen »Bürgerdialog« ab. »Vieles, wofür die AfD steht, ist unvereinbar mit dem, wofür wir als Kulturinstitu­tion eintreten«, hieß es damals in einem Offenen Brief der Mitarbeitenden. Darin zitiert wurde auch Marc Jongen, kulturpolitischer Sprecher der AfD, der die von seiner Partei anvisierte »Entsiffung des Kulturbetriebes« als »Ehre und Freude« beschrieben hatte. »Wenn wir der AfD nicht aktiv den Raum nehmen, den sie sich nehmen will, werden wir die Ausbreitung des Faschismus nicht verhindern«, schreiben die Unterzeichner*innen des Offenen Briefes.

Doch die Veranstaltung fand statt. Wegen Störungen musste sie mehrmals unterbrochen werden, doch von einem Versuch, die Vermietung zu untersagen, hatte die ehemalige Kulturhauptstadt Europas nach der Schlappe bezüglich des AfD-Parteitags in der Grugahalle von vorneherein abgesehen. Nach dem Mehrheitswillen des Rates sollen einige Kulturstätten künftig nicht mehr für parteipolitische Veranstaltungen vermietet werden. Wann diese Idee umgesetzt wird, ist aber noch unklar.

Das Entscheidende ist aber: Erreicht das Theater überhaupt die, die nicht mehr demokratisch wählen?

»Als Kulturschaffende in Deutschland stehen wir nicht über den Dingen, sondern auf einem Boden, von dem aus die größten Staatsverbrechen der Menschheitsgeschichte begangen wurden«, schreibt das Bündnis »Die Vielen«. 2017 hat sich das bundesweite Netzwerk von Künstler*innen und Kulturinstitutionen zusammengeschlossen, gegen den stärker werdenden Rechtspopulismus und für Kultur- und Kunstfreiheit. Im vergangenen November kamen einige von ihnen in Berlin zusammen, beim »Ratschlag der Vielen«, bei dem über das AfD-Verbotsverfahren und Vernetzungen jenseits der eigenen Bubble diskutiert wurde: nämlich über die Bildung neuer »Bubblianzen«, wie es Helge Lindh, kulturpolitischer Sprecher der SPD, im Verlauf der Veranstaltung nannte. Und es ging um die Kürzungen in der Kultur.

»Hier geht es tatsächlich um Schutz von Räumen, die die Demokratie auch zugesichert hat, nämlich Kunstfreiheit«, sagt die Schriftstellerin Jagoda Marinic im November 2024 im Deutschlandradio. Beim »Ratschlag der Vielen« hatte sie einen Vortrag gehalten und Teile der Veranstaltung moderiert. Sie sagt: Zentrale Räume des menschlichen Zusammenlebens, darunter falle die Kultur, aber auch das Gesundheitswesen und der soziale Bereich, seien immer stärker ökonomischen Zwängen ausgesetzt. Das mache die Gesellschaft anfällig für autoritäre und rechtsextreme Bewegungen. »Die sagen dann: Schaut, es sorgt keiner für euch. Wir sorgen für euch!«

Das Entscheidende ist aber: Erreicht das Theater überhaupt die, die nicht mehr demokratisch wählen? Klar ist es wichtig, Kultur in ländliche Gebiete zu bringen, aber wie soll das bezahlt werden, wenn dort der AfD-dominierte Kulturausschuss alle Gelder streicht? Wie kann man künstlerisch unabhängig bleiben, wenn viele in der Branche von staatlichen Fördermitteln abhängig sind? Wie kann man das Agenda-Setting nicht mehr nur der anderen Seite überlassen, sondern selbst Strategien entwickeln? Und wie sollen die aussehen? Es gibt viele Fragen, auf die auch die Theater noch immer keine Antworten gefunden haben.