Schnöseligkeit als Waffe: Jovana Reisinger, Foto: Sophie Wanninger

Klassenkampf mit Oberflächen

Die lit.cologne pop zeigt die Verspieltheit der neuen deutschsprachigen Popliteratur

Zu Recht hat Popliteratur in Deutsch­land mittlerweile keinen besonders guten Ruf. Dafür kann sie sich bei den langweiligen Schnösel-Autoren der 90er Jahre bedanken, die dieses Etikett gerne an ihren teuren Sakkos getragen haben. Nicht wenige von ihnen erinnern heute an abgehalfterte Schlager-Literaten — ein Glück für die deutschsprachige Popliteratur. So ist endlich wieder Raum für das Spiel mit Fiktion und Form, mit dem sie ab den frühen 1970ern zum Ausdruck der Gegenwart wurde, und das man auch auf der Litcologne Pop findet.

Passend also, dass Laura Leupis »Alphabet der sexualisierten Gewalt« im März-Verlag veröffentlicht wurde, der Heimstätte deutscher Counterculture. Von A wie Angst bis Z wie Zuhause bildet dieses Alphabet den Rahmen für die Erzählung einer Vergewaltigung, die die Erzähler:in durch ihren Partner erlebt. Das mag angesichts des Themas erstmal unangemessen verspielt wirken, aber hat einen therapeutischen Effekt. Die Struk­tur des Alphabets gibt der trauma­tischen Erfahrung eine Orientierung und bietet so die Möglichkeit, die Sprachlosigkeit des Traumas zu überwinden. So spiegelt sich in Leupis Alphabet dann auch die individuelle Situation der Erzähler:in wieder, und kann ebenso wenig allgemeingültig werden wie die fragmentierte Erzählung. Mehr Verstanden von der Gewalt eines sexuellen Übergriffs hat man am Ende dennoch.

Auch Kay, die nicht-binäre Erzähler:in in Selma Kay Matters Roman »Muskeln aus Plastik«, kämpft darum, Worte zu finden. Kay leidet unter Long Covid, traut sich deshalb nicht, Aron, ebenfalls trans*, die Liebe zu gestehen und findet mit Ilay eine Person, die die Erfahrung von Behinderung teilt. So wird »Muskeln aus Plastik« zu einem einmaligen Tor in die Welt queerer Perspektiven auf Covid und seine Folgen.

Bei Jovana Reisinger taucht die Schnöseligkeit dann doch wie­der auf — wenn auch nicht als Distinktionsmerkmal gelangweilter Internatsschüler, sondern im Klas­senkampf. In »Pleasure« plädiert die im Sozialbau aufgewachsene Autorin für mehr Völlerei, Glamour und Hingabe, um die schönen Ober­flächen nicht denen zu überlassen, die sie in die Wiege gelegt bekommen haben.

lit.cologne pop, Sa 15.3. & So 16.3., Stadtgarten