Auf Wiedervorlage: »In the Air tonight«
Subkontextuelle Beobachtungen — wie die Ästhetik eines Acts einzuordnen ist, wo sie reinpasst und wo eben nicht, solche Dinge halt — sind im Vergleich zur reinen Klangbeschreibung der spannendere Teil musikjournalistischer Artikel, finde ich. Der Kern des jeweiligen Werks kommt durch solche Überlegungen, die sich eher mit dem großen Ganzen beschäftigen, viel besser zum Vorschein als bei detaillierten Umschreibungen der Produktion.
Gelegentlich stößt man jedoch auf Artists, deren Sound so extrem originell ist, dass ein Sezieren des Gehörten bereits verdeutlicht, wie interessant der untersuchte Gegenstand eigentlich ist. Wie bei Michael Gordon, der sich auf der Bühne Mk.gee nennt: Seine Musik ist unaufgeregt, gleichzeitig ist einiges darin los, sie ist also minimalistisch und doch voll mit klitzekleinen Spielereien. Immer bröckelt oder klappert oder stottert es, geradezu ASMR-mäßig. Fast alles klingt, als wäre es unter Wasser aufgenommen worden. Und dann diese offensichtlichen Einflüsse …
Man fühlt sich an moderne R&B-Klassiker wie Frank Oceans »Blonde« erinnert, wo einem die poppigen Abstraktheiten ebenfalls durch die Finger gleiten, und versteht schnell, warum Mk.gee zwar auf den Mainstream schielt — es gab bereits Auftritte bei Kimmel, Fallon und SNL —, aber auch eine Art Kultfigur werden könnte. Ähnlich wie bei »Blonde« bringt die Schwammigkeit der Musik dich dazu, immer wieder auf Play zu drücken und dadurch eine intime, hochpersönliche Bindung zu den Songs sowie der relativ anonymen Person dahinter aufzubauen.
Doch am Ende sind es andere Einflüsse, die Mk.gee und sein im letzten Jahr erschienenes Debütalbum »Two Star & the Dream Police« so besonders machen: Obwohl ich dachte, dass die Popsounds der 1980er in den letzten Jahren zur Genüge revitalisiert wurden und mittlerweile ausgelutscht sind, kommt nun ein Typ um die Ecke und bedient sich bei völlig anderen Klängen dieser Dekade. Sting, Bruce Hornsby, Phil Collins. Bei genauer Betrachtung funktionieren die Songs auf »Two Star & the Dream Police« nicht grundlegend anders als »In the Air Tonight«, so werden dieselben Bestandteile benutzt (hallende Drums, schimmernde Gitarren, plastische Keys), aber mit einer völlig anderen, paralysierenden Wirkung. Solche Produktionsgriffe in einem frischen Gewand zu hören, begeistert. Es ging bei guter Musik ja nie darum, ob sie wirklich neu ist, sondern allein um die Frage, ob sie sich neu anfühlt.
Dass Mk.gee darüber hinaus ein wahrlich herausragender Gitarrist ist — ein Kompliment, das heutzutage nur wenigen Künstlern dieser Art gemacht wird (make guitars hip again!) —, hebt ihn vom Rest der Genrewelt, wo R&B und Indie aufeinandertreffen, ab. Sein Gitarrenspiel glänzt elegant und hüpft zugleich, womöglich hat er sein Instrument mit Bariton-Saiten bestückt. Wie genau er seinen spezifischen Sound hinbekommt, darüber zerbricht sich das Internet bereits den Kopf; auf der Social-Media-Plattform Reddit existieren ganze Foren dazu. Jedenfalls: Der uncoole Boomer-Held Eric Clapton ist Fan und verglich Mk.gee mit dem vielleicht coolsten Menschen jemals, Prince. Überzeugt?
Und spätestens im Outro merkt man dann, dass die Gitarre schon die ganze Zeit nach The Police klang. Großartig.
Den allerbesten Song, den Mk.gee bisher produziert hat, veröffentlichte er allerdings nicht als Teil seines Debütalbums »Two Star & the Dream Police«, sondern als Single: »ROCKMAN«. In unter drei Minuten erschafft der 28-Jährige eine subtile Pop-Sinfonie. Vorerst verweilt der in New Jersey gebürtige Michael Gordon auf dem selben Harmoniegerüst und wechselt nach 40 Sekunden dann zu einem B-Teil, in dem die Sonne aufgeht. »You can laugh it off, but you started a war«, singt er darin — ein möglicher Kommentar zu jenen Unsympathen, die einen Raum betreten und sofort für bad vibes sorgen. Später kommt ein simples Piano dazu und rückt den Song nochmal in ein melancholischeres Licht (»The little moves that you’re making«). Spätestens im Outro merkt man dann, dass die Gitarre schon die ganze Zeit nach The Police klang. Großartig.
Wirklich verstehen kann man die Songtexte nicht. Außerdem bestehen diese Songs aus merkwürdig verlaufenden, aber extrem poppigen, also eingängigen Gesangsmelodien, deren Platzierung im Mix nicht unbedingt dabei hilft, sie greifen zu können.
Genauso schwer zu packen ist Mk.gee eben auch als Charakter, er gibt kaum Interviews und versteckt sich bei Liveauftritten hinter grellen Lichtern. Je verwaschener die Dinge sind, die man den Leuten zuwirft, umso intensiver sehnen sie sich nach mehr. Also drückt man wieder auf Play.