Klima des Misstrauens: Offizierstreffen in »Schatten der Nacht«

Dauerhaft auf Bewährung

Der Kölner Regisseur Türker Süer über seinen Thriller »Schatten der Nacht«

Ihr Film spielt in der Türkei kurz vor und nach dem Putschversuch von 2016. Aber im Vordergrund steht die Geschichte zweier sehr unterschiedlicher Brüder, die durch dieses Ereignis ihr Verhältnis neu bestimmen müssen. 

Ich wollte in der Tat keinen Film über den Putsch machen. Ich bin in Köln geboren und aufgewachsen, habe aber eine starke Bindung in die Türkei, habe Freunde und ­Verwandte da und liebe dieses Land — oft gemischt mit sehr viel Frust. Es gab ein Ereignis, das ich in der Zeitung gelesen habe, das mich sehr beschäftigt hat. Aufgebrachte Bürger hatten im Osten des Landes Grabsteine umgestoßen, weil sie dachten, dort seien Terroristen begraben, PKK-Leute. Der Bürgermeister warnte daraufhin: Durch diesen Hass verlieren wir unsere Menschlichkeit. Ich wollte verstehen: Was bedeutet es, in einer Gesellschaft zu leben, in der so viel Wut herrscht, so viel Hass? Was macht das mit einem? Dann war schnell klar, dass ich die Geschichte von zwei Brüdern erzählen wollte. Weil Familien oft sehr gut die Spannungen und Risse in einer Gesellschaft widerspiegeln. Recht schnell war mir klar, dass das zwei Soldaten sein müssen. Gerade in der Türkei ist das Militär eine Projektionsfläche: Für die einen sind das Helden, für die anderen Verbrecher. Im militärischen Setting spiegelt sich auch eine Gesellschaft, die immer autoritärer wird.

Ich musste bei Ihrem Film an ein Zitat des Künstlers Douglas Gordon denken: »Ohne Vertrauen wird alles zur Fiktion.« 

Genau darum geht es, um das Misstrauen in der Gesellschaft und wie man damit umgeht. Jeder kann sehr schnell verdächtig werden, Situationen können kippen. Aus erzählerischer Sicht ist das spannend, aber möchte man so leben? Die Türkei war immer ein Land der Gegensätze, aber derart polarisiert scheint mir die Gesellschaft erst seit vielleicht zehn, 15 Jahren. Es fehlt nicht nur an Vertrauen, man misstraut dem anderen aktiv.

Am Anfang des Films demütigt ein Offizier einen untergebenen Soldaten, indem er ihm eine absurde, unerfüllbare Aufgabe stellt. Da zeigt sich auch die Willkür der Macht. 

Sicher, aber dort interessiert mich vor allem die Absurdität der Situation und wie man damit umgeht. Für mich sind auch die Räume wichtig, in denen die Szene spielt. Es handelt sich um eine ehemalige osmanische Kaserne. Es war mir wichtig, so einen Ort zu finden, der beeindrucken will. Man soll sich darin als Individuum klein und unbedeutend fühlen. Ich finde solche Gebäude durchaus schön, aber man muss sich bewusst sein, dass sie eine Funktion haben.

Interessant finde ich, wie Ihr Film Realismus mit Genre-Elementen mischt. 

In den 30er Jahren gab es in Frankreich den Poetischen Realismus. Ich mag den Begriff, auch wenn er dort eine andere Bedeutung hat. Wenn man das Gefühl bekommt, dass hinter den Dingen, die wir sehen, noch mehr steckt, dann ist das magisch. Es gibt Momente in »Schatten der Nacht«, wo es mir darum geht, dass man etwas bestimmtes fühlt, was man nicht mit dem Verstand greifen kann. Film ist dafür wie geschaffen.

Jeder kann sehr schnell verdächtig werden, Situa­tionen können kippen. Aus erzählerischer Sicht ist das ­spannend, aber möchte man so leben?Türker Süer

Einige Sequenzen erinnern mich eher an Western.

Das liegt sicher an der rauen Landschaft, den wortlosen Blicken und dem ­Kon­trast zwischen Vorder- und Hintergrund. Das hat etwas sehr ­Existenzialistisches. Am Ende entsteht das natürlich durch die Inszenierung und die Zusammenarbeit mit meinem Kameramann Matteo Cocco, dessen Beitrag ich gar nicht genug betonen kann.

Auch in Deutschland wächst das Misstrauen in der Gesellschaft. Kann man den Film auch auf ­hiesige Verhältnisse beziehen?

Wie die Filmfiguren kenne ich das Gefühl, unter ständiger Beobachtung zu stehen, als ob man dauerhaft auf Bewährung wäre. So war das in meiner Jugend als Kind türkischer Einwanderer. Wenn alles fein ist, giltst du als integriert, aber wenn du einen Fehler machst, bist du wieder der Andere. Das beschränkt sich natürlich nicht auf Deutschland und die Türkei. Ein französischer Fußball-Nationalspieler hat mal sinngemäß gesagt: Wenn ich Weltmeister werde, bin ich Franzose, wenn ich rausfliege, bin ich Araber. Eigentlich dachte ich, diese Zeiten wären vorbei, aber das sind sie nicht.

»Im Schatten der Nacht« startet am 27.3. und eröffnet an dem Abend das 19. Festival Tüpisch Türkisch: 19 Uhr, Filmforum NRW. Infos: tuepisch-tuerkisch.de