Noch nicht immun gegen Hoffnung: Carla Kaspari, Foto: Frederike Wetzels

Unser Dorf soll schöner werden

Carla Kaspari hat einen Science-Fiction-Roman über das gute Leben der Ein Prozent in der Klimakatastrophe geschrieben

»Zukunft ist vielleicht das zeit­loseste Thema der Gegenwart«, meint Carla Kaspari, »deswegen hab ich überhaupt eine Geschichte in der Zukunft angelegt.« Ihr neuer Roman »Das Ende ist beruhigend« beschreibt eine Zukunft, in der weite Teile der Erde nicht mehr bewohnbar sind. Die ehemalige Schweiz wirkt nur noch wie ein verlassenes Industriegebiet, in dem lediglich »Gruezi« und »Ade« geblieben sind. Und Brandenburg wird bereits »als tot eingestuft, zu viele Brände, kaum Wasser oder Sauerstoff, hohe Staubbelastung. Im Sommer ist es nicht mehr ­möglich, hier zu leben.«

»Jede Geschichte, in der das Wetter über einen langen Zeitraum normal ist, verstellt die ­Realität«, hat die Klimaaktivistin Luisa ­Neubauer neulich gesagt. In ­dieser Sichtweise erzählt Kaspari in »Das Ende ist beruhigend« vom Wetter auf realistische Weise: ­Seine Normalität wird künstlich hergestellt. Auf der verschmutzten und hoffnungslosen Welt ­werden Dörfer unter Kuppeln ­gebaut, in denen das Wetter kontrollierbar ist. Die handverlesenen »Residents« dieser Dörfer bekommen wöchentlich einen Bericht über anstehende Regentage, ­Luftqualität und Seetemperatur — vorhergesagt und angeordnet von der Bürgermeisterin. Denn durch die Bestimmung des Dorfklimas soll den ­Residents ein »Schutzraum für ­Talent und Kreativität« geboten werden, der ihnen die ­Arbeit an ihren hoffnungspendenden ­Werken ermöglicht.

»Der Impuls, zwischen den ­atmosphärischen Ambients und den natürlichen Geräuschen zu unterscheiden, ist noch nicht ganz verschwunden, aber er wird schwächer, beinahe täglich«, resümiert Esther, die erst vor einigen Monaten als Resident in eines der Dörfer gezogen ist. Diese bieten nicht nur kontrollierte Jahreszeitenwechsel und frische Luft zum Atmen, sondern stellen den Residents auch Coaches für psychische Anliegen zur Verfügung und versorgen sie mit Lebensmitteln, die in »pittoresken Manufakturen« hergestellt werden. Außerdem gibt es tägliche Fitnessangebote und auf die gemeinschaftliche Meditation folgt das freiwillige ­gemeinsame Weinen zum ­Ver­arbeiten von Emotionen.

All das soll den Residents dabei helfen, ihrer Eignung nachzugehen und zu kreieren — für die Menschen im Außen, für das geldgebende Komitee. Denn: »Seit der vollständigen Säkularisierung der bewohnbaren Welt ist Kunst für viele Menschen an die Stelle der Religion gerückt.« Esthers Sonnengemälde werden entsprechend ­angebetet, sogar von Dean, einem der reichsten Männer des Landes und Mitgründer der Dörfer.

Carla Kaspari erzählt vom Wetter auf ­realistische Weise: Seine Normalität ist künstlich

Aber die Welt unter den Kuppeln ist trotz Achtsamkeit und ­Alltagsoptimierung nicht ganz so heile, wie sie scheint. Esther und ihre beste Freundin Théa driften mit der Zeit auseinander und eine Art Psychothriller-Dynamik entwickelt sich, die sich konstant sprachlich selbst hinterfragt und reflektiert.  So setzt Esthers love interest dramatische Pausen in seinen Erklärungen, »als wäre er ein pathetisch angelegter Charakter in einer düsteren Science-­Fiction-Erzählung« und Bewertungen des Texts werden gerne ­zwinkernd vorweggenommen.

Alarmierend, klug und bis hin zu zeitweise kalauernd, lüftet ­Kaspari in ihrem Roman stückchenweise ein groß angelegtes Geheimnis. Dabei schieben sich immer wieder zwinkernde Seiten­hiebe in die Handlung, wenn ­Kaspari über »spätgeborene Millenials« schreibt, die »sich hauptsächlich mit sich selbst beschäftigen«. Oder wenn sich über Naturwein lustig gemacht wird, der »wie der Urin von Katzen« roch. Carla Kaspari verrät, dass sie zur Vorbereitung für den Roman so wenig wie möglich recherchiert hat: »Ein paar Prognosen habe ich mir angeschaut, aber die dann auch verfremdet. In meiner Sci-Fi wird das ›Fi‹ groß geschrieben.«

Dennoch wirkt die Landschaft von »Das Ende ist beruhigend« so wenig fiktional, dass der Text eine tiefgreifende Dankbarkeit dafür inspiriert, wie normal das Wetter in Köln noch ist: Luft, die ohne Helm geatmet werden kann, ­Naturgeräusche, die nicht aus Lautsprechern kommen. Gleichzeitig zeigt das Buch elegant und ohne erhobenen Zeigefinger die unangenehme Verwandtschaft von Dankbarkeit, Hoffnung und Verblendung auf, die klar macht: Dankbarkeit allein reicht nicht aus, das normale Wetter zu erhalten. In Kasparis 2130 gehen die Aktivist:innen so weit, sich gegen Hoffnung zu immunisieren — ein Schritt, der der Menschheit ­hoffentlich erspart bleibt.

Carla Kaspari: »Das Ende ist beruhigend« Kiepenheuer & Witsch, 272 Seiten, 22€

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Fr 11.4., King Georg, 21 Uhr