Performing gender, performing queerness
In einem dunkel gestrichenen, großen Probesaal kommt am Karnevalssamstag eine Gruppe zusammen, um am Workshop »Insight — Performing gender, performing queerness« teilzunehmen. Es sind Theaterliebhaber*innen dabei, Menschen aus der Stadtgesellschaft, ebenso ein Praktikant des Düsseldorfer Schauspielhauses.
An diesem Tag soll mit der Performanz von normativer Weiblichkeit und Männlichkeit gespielt werden. Gangarten werden ausprobiert, mal hypermännlich, mal fein und fließend wie eine Balletttänzerin. Dabei sind alle Teilnehmenden frei darin, ihre Interpretation eines solchen Ganges auszuprobieren. Später sollen die Gruppenmitglieder sich über die eigene Biografie Gedanken machen: Welche Identitätsmerkmale rund um Race, Class und Gender haben in ihrem Leben eine besondere Rolle gespielt? Welche weniger? Zum Schluss entwickelt jede Person einen Drag-Charakter, basierend auf den eigenen Stärken und Schwächen.
Angeleitet wird der Workshop von Lasse Scheiba, Dramaturg und Projektleiter des Stadt:Kollektiv vom Düsseldorfer Schauspielhaus, kurz D’haus. Er führt die Gruppe durch den Tag, erzählt persönliche Anekdoten und versteht es, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich alle Teilnehmenden wohlfühlen. Lasse Scheiba kommt aus der Kulturwissenschaft und hat schon als Teenager eine Leidenschaft für das Theater entwickelt. Er arbeitete als Theaterpädagoge und Dramaturg am Jungen Deutschen Theater in Berlin, seit der Spielzeit 2021/2022 ist er beim Stadt:Kollektiv am D’haus.
In den knapp vier Jahren hat er hier einiges bewegt: Seit 2022 findet die eigens auf die Beine gestellte Show »Drag & Biest« statt, bei der Scheibas Dragpersona Effi Biest durch den Abend führt und regelmäßig Drag Performer*innen aller Erfahrungsstufen auf die Bühne bringt. Ein Jahr später kam der Wettbewerb zum »Drag Star NRW« dazu, ebenfalls moderiert von Effi Biest.
Mit Travestiekunst kam Scheiba früh in Berührung. Als er elf Jahre alt war, nahm seine Oma ihn und die Schwester mit zu einer Aufführung von Mary Morgan, einer bekannten Kunstfigur von Georg Preusse — das hatte schon einen prägenden Eindruck hinterlassen. Er nahm damals aber auch wahr, dass die Zielgruppe vorwiegend heterosexuelle Menschen sind. Im Rückblick schreibt er dieser Erfahrung eine queere Dissonanz zu. Damit drückt er die Erkenntnis aus, dass man als queere Person in einer heteronormativen Welt existiert. »Wenn ich so bin, dann habe ich eigentlich nur die Chance der bunte Vogel zu sein«, beschreibt er seine Gedanken bezüglich dieser ersten Travestiekunst-Erfahrung. Erst als er nach Berlin zog und Drag Auftritte von amerikanischen und australischen Künstler*innen sieht, hat es für ihn Klick gemacht: »In der Community ist Drag mehr als Kunst für ein queeres Publikum gedacht. Es ist keine Kunst, die sich profiliert durch ihr eigenes Othering, sondern durch ihre Zugehörigkeit und auch ihren Kampfeswillen für die Community.« Bald darauf stand Scheiba selber als Dragqueen auf der Bühne.
Drag ist keine Kunst, die sich profiliert durch ihr eigenes Othering, sondern durch ihre Zugehörigkeit und auch ihren Kampfeswillen für die CommunityLasse Scheiba
Am D’haus laufen alle regelmäßigen Veranstaltungen rund um Drag-Kunst über das Stadt:Kollektiv. Als partizipative Sparte des Düsseldorfer Schauspielhaus setzt es unterschiedliche Formate um: Workshops, Yoga- und Tanzsessions, Kleidertausch, eine Drag Story Hour für Kinder, ebenso wie große Repertoire-Inszenierungen. Aktuell laufen beispielsweise »Romeo und Julia« und Fatma Aydemirs »Dschinns«, beides unter der Regie von Bassam Ghazi und mit Darsteller*innen aus der Stadtgesellschaft. Scheiba findet es wichtig, dass städtische Theater die Stimmen der jeweiligen Bürger*innen abbilden. Der Zugang zu Theaterhäusern sei in der Regel recht hochschwellig, durch die Eintrittspreise und Inhalte entstünden oft Barrieren. Das Stadt:Kollektiv hat sich zur Aufgabe gemacht, das Theater für alle zu öffnen und Barrieren abzubauen. Sei es in Form von niedrigen Eintrittspreisen, Sport- oder Kleidertauschangeboten, oder indem alle Menschen dazu eingeladen werden, Teil der Kunst zu sein und ihre eigenen Perspektiven einzubringen. Es gibt regelmäßig Aufführungen, bei denen offene Ausschreibungen stattfinden für Darstellende ohne Schauspielerfahrung. »Wir laden Menschen in unterschiedlichste Formate ein, vom Bürger*innendinner bis zur großen Inszenierung, und wir sagen ihnen, wir sprechen nicht über eure Themen, sondern ihr könnt selber euren Themen eine Stimme, ein Gesicht, einen Körper auf dieser Bühne geben.« Als das D’haus die Ausschreibung für »Dschinns« veröffentlichte, meldeten sich über 200 Personen.
Gemeinsam mit der Theaterwissenschaftlerin und Dramaturgin Birgit Lengers hat das Stadt:Kollektiv bis 2024 Bassam Ghazi geleitet, auch bekannt als früherer Leiter des Import Export Kollektivs am Schauspiel Köln. Mit ihm hat Scheiba bereits seit längerem zusammengearbeitet. Zum ersten Mal für das Stück »Working Class«, das im Frühjahr 2022 uraufgeführt wurde. Es verknüpfte die Lebensrealitäten und Arbeitsbedingungen von acht Performer*innen aus der Stadtgesellschaft mit den Texten und der Lebensgeschichte von Semra Ertan, die sich 1982 das Leben nahm, aus Protest gegen Rassismus und Ausgrenzung in Deutschland. Über Bassam Ghazi sagt Scheiba, er schaue immer genau dorthin, wo Dinge ungesagt bleiben. »Sein Anspruch ist, den Stimmlosen eine Stimme zu geben.« Aus dem Ensemble sind zwei Personen noch heute am D’haus aktiv, eine als Regieassistentin, ein anderer als Bühnenbildassistent. Durch die Beteiligung an der Inszenierung konnten die beiden sich professionalisieren, auch auf diese Weise schafft das Stadt:Kollektiv Zugänge.
Es wird deutlich, dass die Arbeit am D’haus für Scheiba eine Herzensangelegenheit ist. »Das ist so ein bisschen das Dilemma, wenn man mit Leidenschaft am Stadttheater arbeitet. Ich kann nicht Nein sagen, vor allem wenn es tolle queere Projekte sind.« Und sein Einsatz trägt Früchte! Scheiba hat die Thematisierung und Sichtbarkeit von queerer Kunst im D’haus etabliert. Dieses Jahr gibt es gleich zwei neue Formate, die zu seinem Repertoire hinzugefügt werden: Am 19. April findet gemeinsam mit Drag-Kollegin Aria Viderci ein Lip-Sync-Musical statt, und vom 8.–11. Mai läuft die Fokusreihe »Queer Art«, bei der auf allen Bühnen vom D’haus Veranstaltungen mit queerer Ausrichtung geplant sind. Wer noch Karten ergattern möchte sollte sich beeilen, denn die gehen zu seinen Events meistens schneller weg als wir »Drag Show« sagen können.