Teil der Geschichte: Maryam Aras, Foto: Robin Baltke

Keine andere Geschichte

Maryam Aras erzählt in »Dinosaurierkind« vom Leben ihres iranischen Vaters im Kölner Exil

2. Juni 1967: Der Schah von Persien besucht Berlin. Ihm gegenüber stehen 500 Demonstrierende. Ein Schuss fällt, der Student Benno Ohnesorg stirbt. In vielen Erzählungen wird sein Tod zum Wendepunkt der Studierendenbewegung. Eine Frage bleibt dabei meistens offen: Wer waren die »persischen Demonstrierenden«, die damals auch protestierten?

Der Vater von Maryam Aras hätte einer von ihnen sein können. Als die USA und Großbritannien den Schah 1953 an die Macht putschten, stand seine Familie, Anhänger:innen des demokratischen Ministerpräsidenten ­Mossadegh, auf der anderen Seite. Als Kind verteilte er Flugblätter gegen den Schah, später muss er nach Deutschland fliehen und am 1. Juni 1967 war er auf einer ­Protestveranstaltung an der FU Berlin gegen den Schahbesuch.

Dort entdeckt ihn seine Tochter 2017 in einem Dokumentarfilm, der im Odeon gezeigt wird: »Ein Beweis in dieser Welt, dass auch seine Welt wahr ist.« Seine Welt, das sind die wöchentlichen »Sitzungen« seiner politischen Gruppe, und die Diskussionen mit ­seinem Freund Bijan, der bis zu seinem Tod das Café Libresso ­betrieben hat. »Dinosaurier« ­werden die politisierten Exil-­Iraner seiner ­Generation oft ­liebevoll genannt und als »Dinosaurierkind« erzählt Maryam Aras nun eine ihrer ­Geschichten.

»Dinosaurierkind« ist ein Buch darüber, wie eine Tochter sich das Leben ihres Vaters ­erschließt und dabei ein bißchen auch sich selbst. Die Verwandten im Iran bringen ihr den Vater als Menschen und als Person der Zeitgeschichte näher und das ­Studium sich selbst als Schnittpunkt aus Diskursen und historischen Verhältnissen. »Dinosaurierkind« ist prall gefüllt mit Namen und Ereignissen, die nicht Teil bundesrepublikanischer ­Geschichtsschreibung sind, aber dennoch Teil ihrer Geschichte.   

Diese hybride Position zeigt sich im Text. Immer wieder mischen sich andere, kursiv gesetzte Stimmen in seinen Fluß ein. Mal ist es Aras’ Vater, der sich anders an die Dinge erinnert und seine Version der Erinnerungen mit ­liebevoller, aber väterlicher Autorität einfordert. Ein anderes Mal meldet sich das Verlagslektorat zu Wort und bittet um Erläuterungen oder mehr Verständlichkeit. »Wie also nun schreiben, ohne die eigene Realität und vor allem die der Eltern einem anders machenden Blick preiszugeben?«, fragt sich Aras in ihrem Essay und­ ­richtet sich dennoch darauf ein, mit diesem Anliegen zu scheitern. Für diejenigen, die keine Dinosaurierkinder sind, ist dieses Scheitern ein Glück. Sie erhalten in diesem Text einen Einblick in die Geschichte von Menschen, neben denen sie leben, aber die sie in wenigen Texten so gut ­kennenlernen können wie hier.

Maryam Aras: »Dinosaurierkind«, Ullstein, 160 Seiten, 22 Euro