Gemeisame Wurzeln im Rausch: Gong Wah

Keine Angst vor großen Melodien

Gong Wah begeistert mit perfekt arrangiertem Indie, der dem Zeitgeist ein Schnippchen schlägt

Der Besuch eines Konzertes von Gong Wah im Februar im Blue Shell anlässlich der anstehenden Veröffentlichung ihres dritten ­Albums »The Healing Volume« wirft Fragen auf: Weshalb ist es hier so berstend voll? Weshalb ­haben die meisten Zuschauer graue Haare (oder gleich gar keine mehr)? Und weshalb spielt die aus »älteren Semestern« bestehende Band so unglaublich souverän, als handele es sich um irgendwelche Indie-Ikonen aus den 90ern, die sich auf Reunion-Tour durch die kleineren Clubs befinden?

Eine Antwort könnte lauten: Auch wenn sich Gong Wah erst vor ein paar Jahren gegründet haben, so sind die Bandmitglieder doch schon seit Jahrzenten aktiv und haben zum Teil gemeinsame Wurzeln, die auf eine inzwischen nahezu vergessene, eigentlich aber ziemlich legendäre Band ­zurückzuführen sind: Rausch!

Die ehemaligen Kölner Vorzeige-Indierocker brachten 1989 ihr erstes Album raus und standen ­Anfang der 90er kurz vor dem ­internationalen Durchbruch. Hinterm Schlagzeug saß damals bereits Wolly Düse, der nun auch bei Gong Wah trommelt. Auch Gong-Wah-Gitarrist und Mastermind Thorsten Dohle spielte bei Rausch, allerdings erst ab den frühen Nuller-Jahren. Es geht noch weiter: Düse und Dohle sind seit 1996 gemeinsam mit Rausch-Sänger Peter ­Sarach als Cowboys On Dope unterwegs und zelebrieren den Rock-­Minimalismus. Die Typen haben also Fans! Und auch Bassist Ingo Ruttke ist dank seiner Deutschpop-Formation Weltrekorder kein Unbekannter. Lediglich Sängerin Inga Nelke scheint musikalisch zuvor noch nicht in Erscheinung getreten zu sein, ihre vergleichsweise jugendlich-unbekümmerte Ausstrahlung, gepaart mit ihrer geschmeidigen, lässig wirkenden Stimme ist es aber, die Gong Wah ein poppig-frisches ­Element verleiht.

Beim Hören des Hookline-­gespickten Albums, aber auch in der Konzertsituation, fühle ich mich sofort an Garbage erinnert: konsequente Popsongs im alternativeren Gitarrenrockmäntelchen mit cooler Frauenstimme. Bei Thorsten Dohle stoße ich damit aber auf wenig Anklang. »Garbage standen definitiv nicht Pate — wirklich nicht«, stellt er auf Rückfrage klar. »Wir klingen doch auch völlig anders. Gong Wah ist unsere Version von Post Punk und New Wave mit einem Schuss 80s-­Synthie-Pop und hier und da einen Blick über den Tellerrand. Wir nennen das Fuzzwave.«

Ich verstehe, was er meint: Die musikalischen Texturen lassen auf unkonventionellere, experimentellere, vermeintlich coolere Einflüsse auch aus den Bereichen Shoegaze und frühem Britpop schließen — allerdings ist das, was die Band daraus macht, dann doch sehr nah am Radiopop. Natürlich nicht dem von heute, sondern dem der 90er. Klar ist jedenfalls, dass die Musik nicht von 20-Jährigen gemacht ist, sondern von Menschen, die Hits entsprechend der in der eigenen Jugend entwickelten Maßstäbe schreiben möchten. Das verleiht den Songs von Gong Wah eine nostalgische, zugleich aber auch sehr authentische Note: Vor 30 Jahren hätten catchy Nummern wie »Smile« Blockbuster sein können, heute sind sie Special Interest. Was schade ist — und ­romantisch-schön zugleich.

Aufgenommen haben Gong Wah »The Healing Volume« übrigens zu dritt, da die Gründungsmitglieder Giso Simon (Bass) und Nima Davari (Schlagzeug) die Band 2023 verlassen hatten. »Inga, Felix und ich haben uns nach dem Split drei Monate lang nahezu jeden Abend im Studio getroffen, weil wir unbedingt ein neues Album machen wollten«, berichtet Dohle. »Felix und ich haben uns den Bass geteilt und ich hab mich ans Schlagzeug gesetzt. Das war eine sehr kreative Zeit und hat wahnsinnig viel Spaß gemacht. Schließlich kamen ­Wolly und Ingo und haben sich die ganzen Songs drauf geschafft. Wir haben dann monatelang intensiv geprobt, was ebenfalls ein großer Spaß war.«

Wie sehr die MusikerInnen für die Sache brennen, ist beim Konzert im Blue Shell jedenfalls zu merken. Hier sind keine Feierabendmucker auf der Bühne, die nach dem Job noch ein bisschen rumdengeln möchten, hier sind Leute am Start, die eine präzise Vision von dem haben, was sie machen möchten und ihre Arrangements mit höchster Akribie auf den Punkt bringen. Diese Band könnte man umstandslos für die großen Sommerfestivals buchen und keiner würde meckern. Man könnte meinen, Gong Wah hätten beim Schreiben der Songs ohnehin eher Stadien im Kopf gehabt als kleine Clubs. »Nein an Stadien haben wir nicht gedacht«, widerspricht Dohle erneut, »aber wir ­haben keine Angst vor großen ­Melodien«.

Tonträger: »The Healing Volume« von Gong Wah erscheint am 11.4. auf Tonzonen Records