Platz ist in der kleinsten Hütte: Ray Lozano, Foto: Leonie Braun

Raum für Notizen

Vielleicht klang Electro Soul noch nie so präzise wie bei Ray Lozano

Die Dinge ändern sich, und ja, ­bisweilen zum Besseren. Als um die Jahrtausendwende Musiker und Produzenten wie Jamie Lidell oder Doctor L den Soul in die elektronische Musik einführten, da musste das, nach Jahren der Minimal-Techno-Askese, episch klingen, extrem effektbetont und, sagen wir, »neo-virtuos«.

Das alles hat Ray Lozano, die Kölner Sängerin, Multiinstrumentalistin, Produzentin, nicht mehr nötig. Dass sie ein Ausnahmegesangstalent ist (die vor einigen Jahren mit der existenziellen Drohung klar kommen musste, aus gesundheitlichen Gründen eventuell ihre Stimme zu verlieren), muss sie nicht mehr ausstellen. Sie singt mit einer solch unaufdringlichen Selbstverständlichkeit und emotionalen Präzision, dass unsere alten Electro-­Soul-­Helden vermutlich wieder zum Minimal-Techno zurückgekrochen wären. Die Stücke von ­Lozano verkörpern tatsächlich ­einen Fortschritt in der Musik.

Dabei sind sie nicht ausladend, sondern — das zeigt sich erst recht auf ihrer aktuellen Veröffentlichung »Silk & Sorrow« — skizzenhaft, knapp und hart; hart nicht in einem »Rock«- oder »Punk«-Sinn, sondern als Ausdruck einer Produktion, in der kein Ton überflüssig ist. Dann erst, im zweiten Schritt, kann sich die Musik eine große Weich- und Samtigkeit zugestehen.

Es ist konzentrierte, kompakte Musik,  von Lozano gemeinsam mit Samon Kawamura produziert, die einen Raum absteckt, in dem sich die Gefühle — Verzweiflung, die in Hoffnung umschlägt — ­entfalten können. Gerade wegen der (musikalischen) Begrenzung. Denn die straffe Produktion verhindert, dass sich die Stücke in den unendliche Weiten moderner Studiotechnik verlieren. Lozanos Stücke sind der »Raum für Notizen« am Ende eines Taschenkalenders: Es sind die Seiten, die man für sich bewahrt.

Lozano ist keine Entdeckung mehr. Für ihr 2023er Album »Pairing Mode« bekam sie den Kölner Holger-Czukay-Preis, 55 Millionen Streams hat es bis dato erzielt. Längst wird sie nicht mehr allein mit ihrer Heimatstadt in Verbindung gebracht, sondern ist eine international anerkannte Musikerin. Auch live weicht sie nicht von ihrer klaren Linie ab, was bisweilen verwirrt: Man mag es nicht glauben, dass Stücke schon nach zwei Minuten enden! Was aber auch eine starken Eindruck erzeugt: Denn tatsächlich besteht ihr Konzert aus einem großen Song, der sich wie ein Mosaik aus vielen Songfragmenten zusammensetzt.

Tonträger: Ray Lozano, »Silk & Sorrow« (Melting Pot Music/ Groove Attack) erscheint am 28.3.