Hmh ...

Materialien zur Meinungsbildung

Wir wissen nicht, was die anderen alles hinter unserem Rücken tuscheln. Was man da wohl alles über uns erzählt? All das unausgewogen Nacherzählte, das ­Verzerrte, Zugespitzte. Ich ahne etwa, dass Tobse Bongartz behauptet, er sei, als er damals besoffen ins Partybüfett stolperte, von mir angerempelt worden, weil ich mir die besten Häppchen habe greifen wollen. Und ich ahne, dass Gesine Stabroth behauptet, ich sei ein Miesepeter, der ihr jeden Flohmarktbesuch und jedes Feelgood Movie mit ­verdrießlichen Kommentaren verderbe. Und ich ahne, dass Oma Porz behauptet, ich sei zwar »ein guter Junge«, hätte aber zwei ­linke Hände, wenn es mal gelte, nicht nur naseweis daherzureden, sondern auch mal anzupacken und ihr etwa das Licht im Kühlschrank zu reparieren. Selbstverständlich könnte ich all diese Fake News richtigstellen, aber an Fakten-Checks haben die Menschen ja nur Interesse, wenn sie im Fernsehen kommen. Ja, ja, bei Trump schaut man ganz ­genau hin, aber Tobse Bongartz lässt man alles durchgehen!

Es ist auch ein naiver Glaube, dass Vernunft und triftige Argumente jemandes Ansichten ändern könnten. Wenn ich Oma Porz ­erläutere, dass es nichts bringe, ­einen Teelöffel in den Pikkolo zu stecken, damit »das Blubbern nicht so schnell rausgeht« und dass doch überhaupt so ein Pikkolofläschchen rubbedidupp leergetrunken sei, und weshalb dann noch eine Pfütze davon in den Kühlschrank zuückstellen? Dann hört Oma Porz geduldig zu, doch all meine physikalisch fundierten Darlegungen, was nützen sie? Oma Porz sagt: »Hmh«. Es klingt wie Zustimmung, doch bedeutet es: Ja, schwätz Du nur klug daher, ich mach trotzdem weiter wie ­zuvor. Und beim nächsten Kaffeekränzchen findet im Kühlschrank der gleiche Hokuspokus statt. Die Begriffe der Vernunft sind für die Feiertage, aber im Alltag prägen das Denken der Menschen diffuse Gefühle und liebgewonnene ­Routinen.

Und so wird hinter anderer Leuts Rücken eben diesen Leuten bisweilen sogar unberechtigtes Lob zuteil! Tobse Bongartz, der sich weigert, seine Büfett-Eskapade von einer unabhängigen Jury ­unter meinem Vorsitz aufarbeiten zu lassen, steht bei Oma Porz in höchstem Ansehen! Dabei hat Tobse Bongartz nur mal das Birnchen im Kühlschrank ausgewechselt, gilt seitdem aber als Deutschlands führender Elektroinstallateur. Das ist sehr unfair, hatte ich doch erst das Ersatzbirnchen in ­einer Krimskramschachtel gefunden! Doch nahm’s mir Tobse Bongartz einfach aus der Hand und machte sich flugs ans Werk. Schraub, schraub, blink, blink.

Und im Handumdrehen standen Margarine und Schlesische Gurkenhappen zwar noch in der Kälte, aber nicht mehr im Dunkeln. Oma Porz war außer sich vor heller Freude! Ich hätte ja zwei linke Hände, aber der Herr Tobse, ja, der Herr Tobse, der sei ja ein richtiger Handwerker, und daher, bitte schön, hier, zwanzig, ach was, fünfzig Euro, doch, nehmen Sie!, bei Elektro Bröhmse zahl ich sonst das Zehnfache, haha, wenn die überhaupt kommen, ne! — Tja, da fühlte ich mich wie ein Fußballer, der mit schwindelerregenden Pirouetten durch das gesamte gegnerische Abwehrzentrum wirbelt und dann, nachdem er sogar noch den Torwart ausgetänzelt hat, vom eigenen Mitspieler, einem Mittelstürmer alten Schlags, der bloß 90 Minuten bräsig im Strafraum herumlungert, den Ball abgenommen bekommt, um ihn ohne jegliche Eleganz lieblos in die Masche zu dreschen — und dann noch die Siegprämie allein einstreicht. Und Tobse Bongartz, ich ahne auch das, macht hin und wieder hinter meinem Rücken Andeutungen, ich sei zu doof oder zu herzlos, der armen, armen Großmutter, die allein in ihrer dunklen Stube hockt, das Licht zu reparieren.