Mietwahnsinn mal anders
Man sieht, dass es schnell gehen musste. Noch hängen an der Fassade die Schriftzüge des Vorgängers. Den Eingang weist ein Zettel an der Tür. Dahinter liegt eines der besten Restaurants Kölns — das »Neobiota«, seit 2019 mit einem Stern des Guide Michelin bedacht, ist umgezogen. Ende Februar hatten die Inhaber und Küchenchefs Sonja Baumann und Erik Scheffler letztmals an der Kleinen Brinkgasse geöffnet. Von dort ging es in das repräsentative Gebäude des »Rotonda Business Club« am Pantaleonswall, nahe Barbarossaplatz.
Dass Restaurants dieser Klasse den Standort wechseln, ist ungewöhnlich. Aber es kommt vor. Daniel Gottschlich zog 2016 mit dem »Ox & Klee« vom Belgischen Viertel in den Rheinauhafen, in einem Kranhaus erkochte er sich den zweiten Michelin-Stern. Spricht Küchenchef Scheffler über die Gründe für den Umzug des Neobiota, klingt er wie leidgeplagte Mieter auf dem Wohnungsmarkt. »Der Preis war nicht marktgängig«, sagt er über den alten Standort nahe der Ehrenstraße, der als unattraktiv galt, bevor das Neobiota einzog. Zudem seien die 28 Plätze nicht mehr ausreichend gewesen. »Von Donnerstag bis Samstag waren wir abends voll. Wir hätten an den Tagen aber das Doppelte oder Dreifache besetzen können. Beim Frühstück hast du am Samstag über ein halbes Jahr Vorlauf gebraucht, um einen Tisch zu bekommen.« Kapital daraus habe man nicht ausreichend schlagen können. Zumal hinter der Sterne-Gastronomie ein schwieriges Jahr liegt. Die Kosten stiegen, die Mehrwertsteuer wurde wieder angepasst, die Gäste kamen seltener.
Mehr als ein Jahr suchten die Neobiota-Geschäftsführer. Eine Innenstadt-Lage sollte es sein. Zudem bringe das Konzept besondere Bedarfe mit sich, sagt Scheffler. Der Gastraum musste sowohl fürs Frühstück als auch fürs Dinner geeignet sein, im Hintergrund brauchte es viel Platz. Das Neobiota bewirtschaftet zwei Hektar Garten. Die Produkte von dort müssen verarbeitet und gelagert werden. Viele Besichtigungen machten Scheffler und Baumann ratlos. »Es ist beeindruckend, wie teuer Leute ihre Gastronomien abgeben möchten, weil sie sich gesundstoßen wollen«, sagt Scheffler. Der Umzug hatte einen kurzen Vorlauf und lief im Eiltempo. Nach nicht einmal einem Monat startete man wieder. »Wir wollten das neue Neobiota so schnell wie möglich anlaufen lassen«, sagt Scheffler.
Das ehemalige »Sal’s« hat einen weitläufigen Gastraum mit 60 Sitzplätzen und großer Fensterfront. Davor liegt eine Terrasse, darunter ein Parkhaus. Die Nähe zum Rotonda Business Club, der im Gebäude Büros und Tagungsräume vermietet, könnte ein Benefit sein. Scheffler sagt aber auch: »Wir können noch nicht genau fassen, wie wichtig der Standort für uns ist.« Allerdings habe man an alter Lage kaum Laufkundschaft gehabt, 95 Prozent der Gäste seien mit Reservierung gekommen. Ohnehin sei man »gesegnet mit Stammkundschaft«.
Warum sind die Desserts alle vegan? Solche Fragen hören wir immer nochErik Scheffler
Für die soll sich nur die Anreise ändern. »Unsere kulinarische Identität bleibt«, sagt Scheffler. Neben dem Frühstück zählt dazu das vegane Menü und ein ganzheitlicher, nachhaltiger Ansatz. »Nachhaltigkeit in der Hochküche ist ein enormer Mehraufwand«, so der 39-Jährige. Dieser Ansatz betrifft den eigenen Garten, aber auch die Zusammenarbeit mit 20 Lieferanten aus der Region. »Es gibt andere Lieferanten, die könnten uns alles auf einmal bringen, auch Meerschweinchen aus Peru und Rhabarber im Winter.« Doch man habe viele Kunden, die den Aufwand für Nachhaltigkeit wertschätzten, so Scheffler — auch wenn es nach wie vor Gegenbeispiele gibt. »Wo ist die Rotbarbe, die Stopfleber, der Kaviar? Warum gibt es vegetarische Gänge in einem Fleisch-und-Fisch-Menü?
Warum sind die Desserts alle vegan? — Solche Fragen hören wir immer noch.« Mit ihrer radikal regional-saisonalen Küche fordere das Neobiota seine Gäste. Man arbeite mit Schärfe, mit selbst produzierten Chili-Soßen oder fermentierten Würzsoßen, hergestellt von Pilz über die Alge bis Sonnenblumenkern, so Scheffler. »Wir haben auch schon Herz und Zunge im Hauptgang serviert. Heißt dann Hühner-Klein oder Stücke vom Kalb.« Bei alkoholfreien Getränken sei man mit bitteren und herzhaften Aromen neue Wege gegangen. Man nutze Wermutkraut für herben Geschmack, Eichenblätter für Tannine im Glas oder Käse-Molke. »Wir leben in einer Zeit, in der alles gewöhnlich, zugänglich und standardisiert ist. Alles ist darauf ausgelegt, zu gefallen«, sagt Scheffler. »Aber wenn man was erleben will, muss man sich aus seiner Komfortzone herausbewegen.«
Neobiota, 50676 Köln, Pantaleonswall 27, restaurant-neobiota.de