Stadt sucht Rat
Die »deliberative Welle« schwappt durchs Land: In Deutschland kommen immer mehr sogenannte Bürgerräte zusammen. 2024 gab es bundesweit mehr als 50 Veranstaltungen zur Bürgerbeteiligung, bei denen per Los ausgewählte Bürgerinnen und Bürgern Empfehlungen zu vorgegebenen Thema erarbeiten. Ende März war es in Köln so weit: Im Historischen Rathaus tagte der erste Kölner Bürgerrat. Noch bis Anfang Mai trifft sich eine Gruppe von 60 zufällig ausgewählten Menschen aus Köln, um ein Konzept zu entwickeln, wie Straßen und Plätze in Quartieren gestaltet werden könnten. »Mobil im lebenswerten Quartier« soll nicht nur Probleme im Verkehr lösen. Es soll auch erproben, ob sich Bürgerräte zur Beteiligung der Kölnerinnen und Kölner eignen.
»Das Verfahren macht bisher einen sehr guten Eindruck«, sagt Max Derichsweiler. Der Grünen-Politiker ist Vorsitzender des Ausschusses für Bürgerbeteiligung, Anregungen und Beschwerden. Dieser hatte Anfang 2022 einstimmig die Verwaltung beauftragt, ein Konzept für Bürgerräte in Köln vorzulegen. Drei Jahre später, in diesem Januar, beschloss der Verkehrsausschuss schließlich, dass das Pilotprojekt durchgeführt wird. Die insgesamt fünf Termine werden begleitet von Experten aus Stadtverwaltung und Wissenschaft.
Man wolle herausfinden, ob Bürgerräte gängige Formate der systematischen Öffentlichkeitsbeteiligung sinnvoll ergänzen können, sagt Derichsweiler. Er rechnet damit, dass Köln künftig weitere Bürgerräte einberuft. »Wir wollen auf diese Weise leise Gruppen erreichen, die sich nicht von sich aus beteiligen.« Dass man ausgewählt und angesprochen werde, motiviere zur Teilnahme.
Das ist der Premiere in Köln gut gelungen: Die Stadt Köln schrieb Anfang des Jahres eine zufällig gezogene Stichprobe von 7000 Personen aus dem Melderegister an. Knapp 20 Prozent von ihnen meldete sich zurück. Das gilt für Verfahren dieser Art als sehr hoher Wert. Dazu hat wohl auch das Thema Verkehr beigetragen, das viele Menschen beschäftigt. Trotz des positiven Zwischenfazits betont Derichsweiler, Bürgerräte seien »kein Allheilmittel«. Sie seien nicht auf jedes Thema gleich gut anwendbar — und zudem aufwendig. »Wir werden in Zukunft nicht Hunderte Bürgerräte parallel laufen haben.«
Zudem beginnt die wichtigste Phase des ersten Kölner Bürgerrats erst, nachdem die 60 Menschen am 11. Mai letztmals zusammengekommen sind. Die Empfehlungen werden anschließend Politik und Verwaltung vorgelegt — umgesetzt werden müssen sie nicht. Das führt oft dazu, dass die Ergebnisse versanden. »Verbindlich mit den Inhalten umzugehen, heißt nicht, alles eins zu eins umzusetzen, sondern sich gewissenhaft mit den Ergebnissen auseinanderzusetzen«, sagt Derichsweiler. »Es wäre fatal, wenn die Ergebnisse in einer Schreibtisch-Schublade landen.«
Es wäre fatal, wenn die Ergebnisse am Ende in einer Schublade landenMax Derichsweiler, Grüne
Auch Thorsten Sterk vom Verein Mehr Demokratie e.V., der bundesweit Initiativen oder Kommunen zu direkter Demokratie berät, sieht im Umgang mit den Empfehlungen einen kritischen Punkt: »Man hat sich ein nettes Verfahren ausgedacht, ein schönes Gutachten erstellt — und dann gibt es keine Regelungen, was damit passiert.« Der Kölner rät daher Politik und Verwaltung, nach einem Jahr verpflichtend einen Bericht vorzulegen, was umgesetzt wurde. »Es kann gute Argumente geben, etwas nicht zu tun, weil es rechtlich nicht möglich oder die Stadt nicht zuständig ist«, sagt Sterk. »Aber das sollte man kommunizieren.« Außerdem schlägt er vor, Teilnehmende des Bürgerrats in politische Gremien einzuladen, um die Ergebnisse dort vorzustellen.
Dass Bürgerräte auch in Köln dauerhaft zu den Verfahren der Partizipation gehören sollten, steht für Sterk außer Frage. »Am allerschönsten wäre ein ständiger Bürgerrat.« Der Experte verweist auf Aachen, wo einmal im Jahr ein Bürgerrat zu einem wechselnden Thema stattfindet. Sterk erinnert zudem an die Tradition der »Los-Demokratie« in Köln. 1979 hatten sich 250 ausgeloste Kölnerinnen und Kölner in »Planungszellen« bei der Gestaltung des Bereichs um das Historische Rathaus und den Gürzenich eingebracht. »Damals waren alle begeistert. Der Tenor war: Wir müssen das unbedingt wieder machen«, erzählt Sterk. »Dann ist fast ein halbes Jahrhundert nichts passiert.«