Spießig? »Wink vom Nachbarn. Bemerkungen zum Filmfestival Oberhausen 66«

Winke vom Nachbarn

Die Kurzfilmtage Oberhausen zeigen in ihrem großen Themenprogramm DDR-Filme aus der Festivalgeschichte

Das vom Kölner Felix Mende umsichtig zusammengestellte Themenprogramm der diesjährigen Kurzfilmtage Oberhausen ist sowohl politisch relevant wie filmarchäologisch ergiebig. Zu sehen sind in »Umwege zum Nachbarn — Der Film der DDR in Oberhausen« neben Klassikern allerhand Ausgrabungen, die bestenfalls Spezialisten der DDR-Film- und Fernsehproduktion geläufig sein dürften.

Am sinnvollsten nähert man sich diesem Komplex — mehr als 150 DDR-Filme liefen zwischen 1955 und 1990 in Oberhausen — von einem historisch eher umstrit­tenen Werk: Harry Hornigs ­Reportage »Wink vom Nachbarn. Bemerkungen zum Film­festival Oberhausen 66« (1966), initiiert vom Duo Walter Heynowski und Gerhard Scheumann, welches sich erst im Vorjahr gefunden hatte und schnell zu einer führenden Kraft des DDR-Dokumentarschaffens wurde. Die Produktion des DDR-Fernsehens wird meist als Beispiel für die ideologische Verbohrtheit des Gespanns abgetan und überhaupt als Beispiel für die Spießigkeit der DDR als solches.

Und es ist wahr: Gerhard Scheumann, der als Erzähler/Moderator durch das Werk führt, zeigt sich wiederholt genervt von Nuditäten wie auch Formalismen des Oberhausener Wettbewerbsprogramms von 1966. Er bügelt Robert Nelsons Stereotypen-Satire »oh DEM WaterMELONS« (1965) genauso ab wie Jiří Trnkas im Gewand einer Puppenanimation daherkommende Totalitarismus-­Allegorie »Ruka« (1965) — beide gelten mittlerweile als Klassiker. Er beklagt sich außerdem über die Ablehnung einiger DDR-Werke durch die Leitung der Kurzfilmtage, nämlich die Wochenschau »Der Augenzeuge [Jg. 1965 / Nr. 051]« sowie Walter Heynowskis Söldnerdoku »Kommando 52« (1965) — was dem Ganzen eine gewisse beleidigte Larmoyanz verleiht.

Aber was, wenn Scheumann, Heynowski und Hornig recht gehabt hätten, also die modisch provokantelnden Sex-Sperenzchen und politisch vagen Vergleiche die wahren Spießigkeiten des Programms gewesen wären? Das zieht sofort die Frage nach sich, was sie später über in Oberhausen laufende DDR-Werke wie Lutz Dammbecks Animation »Einmart« (1981) oder Herwig Kippings »Bahnpostfahrer« (1980) gesagt hätten, die im Einklang stehen mit der von ihnen abgelehnten Idee von Moderne?

Schlüpfrige Lustig­keiten und schnell abnickbare Gemeinplätze kommen in ›Wink vom Nachbarn‹ nicht gut weg, anders als Filme, die von ­konkreten Verhältnissen sprechen

Schlüpfrige Lustigkeiten und schnell abnickbare Gemeinplätze kommen in »Wink vom Nachbarn« nicht gut weg, anders als Filme, die von konkreten Verhältnissen sprechen, wie es etwa »Vier Muren« (1965) von Johan van der Keuken tut — mittlerweile ein Klassiker wie die Arbeiten Nelsons und Trnkas. Wenn man das nächste Mal Leute trifft, die eine formalistische Exerzitie abfeiern und gleichzeitig auf eine zugängliche investigative Dokumentation herabschauen, möge man an »Wink vom Nachbarn« denken — denn der Drops ist noch lange nicht gelutscht.

Ähnlich frontal geht es im Restprogramm nur noch einmal zu, in Christoph Alberts »Das war’s, Brüder und Schwestern — Die East-Side-Story« (1990), eine Sondersendung des TV-Jugendmagazins »Elf 99«, das sich knackig visionär mit dem anstehenden DDR-Ende als Triumph des Kapitalismuskitsches auseinandersetzt.
Die anderen Filme des Themen­programms zeigen vor allem jene DDR-Alltagsbilder und -erzählungen, für die man sich bis heute begeistert. Das gilt für »Feierabend« (1964), Karl Gass’ unverwüstliche Hommage an die Bescheidenheit, den Einfallsreichtum sowie die Trinkfestigkeit der Arbeiter auf der Großbaustelle des Erdölverarbeitungswerks Schwedt, wie für Petra Tschörtners selten zu sehenden »Hinter den Fenstern« (1984), ein Diplomfilm der Hochschule für Film und Fernsehen der DDR, welcher drei Paare in ihren Wohnungen bei oft intimen Diskussionen über ihre Lebensentwürfe zeigt.

Eine wunderschöne Entdeckung sind die frühen filmischen Annäherungen an Lyriker von Konrad Herrmann, »Struga — Bilder einer Landschaft« (1972) und »Konfrontation — Rekonstruktion eines Dichters. Erich Weinert« (1977). Wegen seiner Melancholie erstaunlich ist Roland Steiners in den letzten DDR-Monaten veröffentlichter »La Rotonda /Vicenza — In Erinnerung an Prof. Lothar Kühne« (1990), ein Lament für ­einen Staat, der am Ende nicht das wurde, wozu er das Potential hatte. Und wenn man sich heute noch mit dem Kunstschaffen der DDR beschäftigt und darin Perspektiven für ein sinnvolleres ­(Zusammen)Leben findet, dann weil man da allem zum Trotz auch einiges richtig gemacht hat.

Di 29.4.–So 4.5., Lichtburg Oberhausen. Infos: kurzfilmtage.de