Raunende Frauen
Ein breites Figurentableau ruft Rachel Cusk in ihrem neuen Episodenroman auf, und viele dieser Figuren hören im Text lediglich auf die Initiale G. Der alternde Maler G, der sich von seiner Frau den Kaffee servieren lässt, malt neuerdings auf dem Kopf stehende Motive. Die Malerin G lebt nach ihren wilden Jahren in einer Villa in Vorzeigelage mit Familie und Kindermädchen. Eine andere Protagonistin liest Texte über eine Malerin G des späten 19. Jahrhunderts, deren Lebensdaten an Paula Modersohn-Becker denken lassen, während sie immer wieder von einem Gewaltvorfall eingeholt wird. Auf offener Straße, aus dem Nichts, wurde sie geschlagen — von einer anderen Frau. Was erzählt diese rohe Gewalt von einem Patriarchat, in dem Männer die Täter sind? Wie darüber sprechen, wie soll sie diesen Schlag einer Frau deuten, »als den Sieg der Gewalt über die Darstellbarkeit«?
Einmal besucht diese Ich-Erzählerin die Ausstellung der Bildhauerin G, die Stoffskulpturen geschlechtsloser menschlicher Wesen herstellt, dann erinnert sie sich an das Gemälde einer Kathedrale des Schwarzen Malers G zurück. »Nicht verstanden zu werden bedeutet, zum Schweigen gebracht zu werden, das Unverständnis wiederum legitimiert das Schweigen und erhellt die eigene Unverständlichkeit. Die Kunst ist ein Pakt von Individuen, die der Gesellschaft das letzte Wort verweigern«, sinniert sie über diesen G, und »wie jeder marginalisierte Mensch ist der marginalisierte Künstler verpflichtet, sich zunächst mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen.«
Originelle Gedanken formuliert der Text, aber dieser Text ist ein Roman, und nicht immer glaubt man ihm, dass solche dahingeraunten erlebten Reden handlungslogisch aus einer äußeren Erfahrung folgen und den Figuren entstammen, und nicht der Autorin. Auch den Schauplätzen fehlen Namen, den Szenerien Konkretion, gegenständliche Details. Ausgeblichen wirkt Cusks Prosa zuweilen, farblos, oder ist das ein unzureichender literarischer Realismus-Maßstab? Ähnlich der vermeintlich zu klein gemalten Kathedrale nimmt »Parade« sich möglicherweise vor, die Darstellbarkeit patriarchaler Gewalt mit herkömmlichen erzählerischen Mitteln in Frage zu stellen. »Die Wirklichkeit oder Unwirklichkeit von Baudenkmälern erschien in dem Kathedralenbild als Ablenkung, als eine Fassade, und die Machtbeziehung dahinter war fast bis zur Ungreifbarkeit verborgen.«
Rachel Cusk: »Parade«, Suhrkamp, 171 Seiten, 25 Euro