Vom Monster zur Ambivalenz
Die Welt der Sophia Kennedy wird von unzähligen Figuren bevölkert, die ihre Geschichten in den Songs der Hamburger Sängerin erzählen. Meist geben sie ihre Gefühle, geheimen Bedürfnisse oder die internalisierte Wut bereitwillig preis; ein kleiner Schubser und delikate Ausquetscherei sollen aber auch nicht schaden. Nur folgerichtig, so scheint es, heißt das nunmehr dritte Album aus der Feder Kennedys »Squeeze Me«.
Der Titel weckt Erinnerungen an Kindheitstage — wir alle hatten Schulfreund*innen, denen man seine Haustiere nicht anvertrauen wollte. Unfähig die eigene Kraft einzuschätzen, streichelten, herzten und umarmten sie alles vom Hamster bis zum Hund auf rabiate Weise. In der Folge wimmerten die Tiere vor Atemnot. Die Cartoonserie der Loony Tunes hat dem Phänomen in Gestalt der überambitionierten Elmyra Duff einst ein Denkmal gebaut.
Ob Sophia Kennedy an Cartoonfiguren gedacht hat, vor allem an jene, die Hasen so lange quetschen bis sie bewusstlos werden, muss im Dunkeln bleiben. Es würde durchaus passen, denn die Protagonist*innen ihrer Lieder verwehren sich eindimensionaler Zuschreibungen. Jemand wie Elmyra, also eine Figur, die so viel Liebe zu geben hat, dass sie das Objekt dieser Leidenschaft erdrückt und in Gefahr bringt — man muss nicht lange suchen, um ähnlich gelagerte Konstellationen in Kennedys Songs zu finden.
Da wäre beispielhaft die Ich-Erzähler*in aus »Feed Me«: In dem lockeren Lied, das die Atmosphäre eines Samstagnachmittags im Frühling hervorruft, fordert ein »Ich«, gefüttert zu werden. Es sei so klein und würde gerne groß und stark werden. Es fühle sich wie ein Luftballon, der aufgeblasen werden müsse, um zu wachsen. Die Lage wäre in jedem anderen Lied der Welt eindeutig: Da ist jemand abhängig von einer zweiten Person. Doch nicht so im Kennedy-Kosmos, wo »Feed Me« von einem sogenannten Power-Bottom handelt, also von einer Person, die ihre Position der Schwäche nutzt, um zu bestimmen. »Wouldn’t it be scary, to realize, it’s you who needs me«, heißt es im Refrain.
»Feed me« ist nur ein weiterer Beweis für die besonderen Songwriting-Künste der in Baltimore geborenen, aber in Deutschland aufgewachsenen Kennedy. Diese eigenwilligen, oft ambivalenten, manchmal gar mystisch-magischen Texte kennen Gutunterrichtete seit Kennedy Debüt »Angel Lagoon« vor zwölf Jahren. Immer wieder geht es um Phantasmagorien, vielschichtige Beziehungsgeflechte, charakterliche Abgründe und, insbesondere auf »Squeeze Me«, Machtverhältnisse in Partnerschaften (platonisch und romantisch).
Sie erzählt keine Märchen, es sind keine auktorialen Sprecherpositionen, sondern intime Einblicke in das Seelenleben ihrer Protagonist*innen, die einen festen Platz in der 1. Person Singular (»Ich«) haben. Dafür schlüpft sie scheinbar in die Figuren, wobei Kennedy im Gespräch einschränkend klarstellt: »Ich sehe mich nicht als Schauspielerin, die sich einer Rolle annimmt. Aber ich nehme mich als Sängerin und Texterin ernst, möchte Perspektiven aufzeigen und abbilden.« Sie sehe sich stets im Dienst der Songs, die aber bisweilen ein Eigenleben entwickeln würden.
An ihrer Seite an diesem Donnerstagmittag sitzt Partner in Crime Mense Reents, den frühere Viva-Zwei-Zuschauer*innen womöglich als Teil von Bands wie das Stella, Egoexpress oder den Goldenen Zitronen kennen. Mit ihm arbeitet Kennedy seit ihrem Album »Sophia Kennedy« (2017) zusammen, produziert alle Tracks und mischt sie abschließend. Diesmal entschied man sich für einen weniger pompösen, viel transparenteren Sound. Reents erklärt: »Es hieß: Was kann man alles weglassen?« Diese intime In-House-Arbeitsweise, so hört man zwischen den Zeilen raus, macht nicht nur alles direkter und einfacher in der Abstimmung, sondern ermöglicht Kennedy überhaupt erst die Freiheit, ihre Popmusik radikal zu denken.
Ich sehe mich nicht als Schauspielerin, die sich einer Rolle annimmt. Aber ich nehme mich als Sängerin und Texterin ernstSophia Kennedy
Radikal? Das mag nicht gleich einleuchten, klingen doch die zehn Songs von »Squeeze Me« nicht übermäßig avantgardistisch oder krachig, leisten sich keine offenen Songstrukturen mit 41 Strophen, dauern auch nicht elf Minuten und exotisches Instrumentarium sucht man genauso vergeblich. Dennoch: Einen Song von ihr wird man unter hunderten im Radio erkennen. Das liegt einerseits an der so wandlungsfähigen Stimme, die zwar immer Kennedy-esk bleibt, selbst wenn sie quietscht, haucht, im Dreivierteltakt wirbelt oder als drohende Rachegöttin erscheint. Sie wolle eben nicht wie »James Blake, jedes Mal« gleich klingen, sondern sich auf jeden Song neu einstellen. Es steckt dennoch in jeder Zeile dieser charakteristische Funke. Das gilt schon seit Tag Eins, wo sie als Billie Holliday der Postmoderne auftrat, das gilt genauso für den Hildegard-Knef-Flamenco »Garten meiner Fantasie« unter dem Pseudonym Ezra — und heute im brutalen Ohrwurm »Rodeo«, der als erste Single-Auskopplung des Albums eine Sonderrolle auf »Squeeze Me« einnimmt.
Womit wir beim zweiten Punkt der gelebten Radikalität sind: Ob »Feed Me«, »Rodeo« oder das fulminante »Closing Time«, immer werden sie von der Stimme und dem teils absurden Sounduniversum getragen. Dessen muss man sich klar machen, wenn man das Phänomen Sophia Kennedy verstehen will. Selbst da wo das Klavier eine prominente Rolle einnimmt, passiert in den Stücken viel Unerwartetes. Bass-Sequenzen schieben sich durch Strophen und comichafte Samples (wie »Luftballons, die Luft verlieren«) poppen auf.
Das erinnert manchmal an den ebenfalls wundervoll-wirren Klangkatalog ihres Freunds DJ Koze, der aus dieser Unberechenbarkeit seit 20 Jahren einen Trademark entwickelt hat und zuletzt Roisin Murphy zu neuem Glanz verholfen hat. Mit Koze arbeitet Kennedy dennoch nur auf der Feature-Ebene zusammen, was meint, dass sie auf seinem neuen Album (»Music can hear us«, Pampa Records) zwei Tracks ihre Stimme leiht und beide gemeinsam 2024 mit »Wespennest« einen wahren Dancefloor-Hit feiern durften. Übrigens: Während sie ihre Gastauftritte meist auf Deutsch absolviert, singt sie in ihrer Solokarriere ausschließlich in Englisch, ihrer zweiten Muttersprache.
Zum Schluss frage ich sie, wie es dazu komme. »Ich möchte das nicht psychologisieren, aber Englisch (und Amerikanischsein) ist ein Teil meiner Identität. Es ist der Teil, der näher am Musikmachen dran ist«, so lautet ihre erste Antwort. Die zweite fällt vernichtender aus: »Würde ich auf Deutsch singen, dann wäre ich Part dieser deutschen Indie-Musiklandschaft. Das möchte ich nicht sein!« Auch in ihrer Abneigung bleibt sich Sophia Kennedy treu — und radikal.
Tonträger: »Squeeze Me« erscheint am 23.5. auf City Slang
Konzert: Mi 8.10., Bumann & Sohn, 20 Uhr