Unusual Symptons eröffnen mit »Harmonia« das Festival, Foto: Jörg Landsberg

»Verbrenn dein Sofa«

16 Projekte, 16 Orte, 61 Veranstaltungen: Aus vielfältigen, künstlerischen Perspektiven setzt sich das Festival Sommerblut in diesem Jahr mit rechter Gewalt auseinander

»Verbrenn dein Sofa.« Diese Aufforderung prangt ganz vorne auf dem kleinen Podium vor den Stuhlreihen, projiziert auf eine Leinwand im Foyer im Schauspiel Köln. Es ist nicht direkt das Motto des diesjährigen Sommerblut-Festivals und doch ziemlich genau das, worum es hier geht: »Democracy needs you«! Runter vom Sofa, los geht’s auf die Straßen und Plätze der Stadt, hin zu anderen Menschen und der Kunst, die sich wehren will gegen den Rechtsruck. »In 2025 blicken wir sowohl strukturell als auch individuell auf vergangene und aktuelle Auswirkungen rechter Gewalt und erproben neue Formen des Zusammenlebens«, heißt es im Programm — und genau das soll an diesem Montagvormittag Anfang April im Depot vorgestellt werden.

Seit 2002 findet das Sommerblut-Festival in Köln statt, gegründet hat es Rolf Emmerich. Auch er steht an diesem Tag vor den Gästen, nur ein paar kurze Worte, ­bevor es mit der Vorstellung der Künstler*innen losgeht. Und er ­erzählt. Dass es kein leichtes Jahr gewesen sei, dass die Kulturkürzungen sich bemerkbar gemacht haben, so stark, dass das Programm um ein Viertel reduziert werden musste — und dass man sehr gekämpft habe, um das Festival hinzubekommen. Sogar ein Umzug des Sommerblut-Büros hat man nach einer unerwarteten Kündigung noch gewuppt, mitten in den Vorbereitungen des diesjährigen Programms. Umso mehr, sagt Rolf Emmerich, freue man sich nun auf das Festival und die vielen Künstler*innen, die das Programm bereichern.

Dann geht es auch schon los mit der Vorschau auf die kommenden Veranstaltungen, die zwischen dem 30. April und dem 11. Mai verschiedene Orte der Stadt bespielen, vom Schauspiel Köln, der TanzFaktur, dem Rauten-strauch-Joest-Museum, dem Orangerie Theater, bis hin zum Raum für Alle, der Alten Feuerwache und der Senior*innenresidenz am Dom — genauer: dem dortigen Schwimmbadbereich. Hochpolitisch sind die Produktionen, die für die diesjährige Festivalausgabe auf die Bühnen gehievt werden und, wie bei allen Festivalausgaben des Sommerblut-Festivals, auch inklusiv. Veranstaltungen werden in Deutscher Gebärdensprache, Leichter Sprache oder mit Audiodeskription angeboten, außerdem gibt es Touch Touren zur Einführung.

Ein Highlight ist sicherlich das Virtual-Reality-Game »Sona«, das in Kooperation mit dem Blindenverein Köln und Un-Label einen Raum in der TanzFaktur bespielt. Die Installation, entworfen aus der Perspektive sehbehinderter Menschen, die von Virtual Reality mit Brillen ausgeschlossen sind, wird über Kopfhörer erlebbar. Ein Motion-Capture-System erfasst die Position im Raum und die Kopfdrehung jedes einzelnen Besuchers, sensorische Schuhe die eigenen Schritte. Ein »akustisches Labyrinth« eröffnet sich, »eine Reise in die Welt blinder Menschen«, wie es im Programmheft heißt.

Ebenfalls sehenswert: »Traudl Junge. Im Schatten des Bösen«, eine Performance des queeren Theaterkollektivs Produktionsbüro Petra P. Schon bei der letzten Festivalausgabe war die Gruppe mit einem Stück vertreten, mit »Queere Revolution«, das für den Theaterpreis 2024 nominiert war. Nun auf dem Spielplan: Schauspieler Daniel Breitfelder als Hitlers Sekretärin, die die letzten Tage des Krieges im Führerbunker miterlebte — und nun schonungslos über Verdrängung, Verantwortung und Schuld spricht. »Traudl Junge hat anders als andere Nazigrößen mit ihrer Rolle rückblickend gehadert«, sagt Regisseur Sebastian Kreyer. »Sie hat sich selbst kritisch befragt und hat auch die Entschuldigung, jung gewesen zu sein, niemals gelten gelassen.«

Rechte Gewalt thematisieren gleich mehrere Produktionen, etwa »the future is unwritten« vom Studio Trafique, das in einer Live-Film-Theater-Ästhetik die Geschichte moderner Revolutionär*innen erzählt, die Europa vor einer faschistischen Herrschaft retten wollen. Oder die Veranstaltungsreihe »un_unterbrochen«, die mit Filmscreenings der Dokumentarfilm-Triologie »Einzeltäter — München, Halle, Hanau« von Julian Vogel im Raum für Alle zum Sprechen über rechte Gewalt einladen will. Auch eine Stadtführung an Orte rechter Gewalt in Köln und eine Podiumsdiskussion mit Expert*innen sind Teil ­dieses Programms. 

Ein Motion-Capture-System erfasst die ­Position im Raum und die Kopfdrehung jedes einzelnen Besuchers, sensorische Schuhe die eigenen Schritte. Ein »akustisches Labyrinth« eröffnet sich.

Vielversprechend außerdem, der diesjährige Beitrag des Drugland Ensembles und Producing ­Sibylle: »stören — eine aufständische Relaxed Performance«. Kritisch blickt die Theatergruppe für Menschen mit Suchtgeschichte darin auf die Selbstverpflichtung der Stadt Köln, Wohnungslosigkeit bis 2030 abzuschaffen. 

Denn heute, fünf Jahre vor dem selbstgesetzten Ziel, sind die Zahlen ­obdachloser Menschen noch weiter gestiegen, der Ton rauer und Ressourcen knapper geworden. »Doch wer stört auf welche Art? Wer wird gehört? Wer enthält sich dem Diskurs, wer wird enthalten?«, fragt die Performance im Orangerie Theater, die zur Programmvorstellung gleich noch einen Darsteller auf das Podium holte. Berührend war dieser Textausschnitt, in dem er über die müden, ausgemergelten Körper in den U-Bahnstationen nachdachte. Das Gähnen — kein Ausdruck von Müdigkeit, sondern von Stress, der einen immer bloß so flach ­atmen lässt.

Etwas leichter im Ton ist vielleicht die musiktheatrale Inszenierung »Unbreak« über gesellschaftliche Brüche und Möglichkeiten des Heilens, aufgeführt von einem »Stimmbruch-Chor«, bestehend aus Menschen, deren Stimmen altersbedingt oder im Zuge einer Krankheit fragil geworden sind. Oder der »Democratic Play­ground«, der mit einem auf den Boden gemalten Viereck Menschen einlädt, sich hineinzustellen und ein Denkmal für die Demokratie darzustellen. Oder die performative Bustour ins Rheinische Braunkohlerevier, die mit »Erdreich« an den Ort Morschenich reist: Ein Dorf, das wegen des Tagebaus schon vor Jahren aufgegeben wurde, indem alle Bewohner*innen umgesiedelt wurden — und für den RWE nun doch keine Verwendung mehr hat.

Zum Abschluss des Festivals am Sonntag den 11. Mai findet die große Mad Pride statt, eine Demonstration durch die Straßen Kölns für Vielfalt, Diversität und gegen Rechts, begleitet von Performances und Live-Musik. Eine gute Einstimmung für die Party im Hof der Alten Feuerwache, bei der TrommelWerk, ein mixed-abled Orchester aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen, spielen, das inklusive Bandprojekt ÄhNein! mit Künstler*innen des Kunsthauses Kat18 auftreten, und weitere Acts und Performances.
In diesem Sinne: »Verbrenn dein Sofa!«.

30.4.–11.5., sommerblut.de