»Es fehlt am Wissen und am Willen«: Özge Erdoğan

»Das Thema wird seit Jahren kleingeredet«

Özge Erdoğan, Leiterin der Fachstelle Türkischer Rechtsextremismus, über rechte Strukturen in Köln — und warum die Politik davon nur wenig wissen will

Frau Erdoğan, was war der Anlass für die Gründung der Fachstelle? 

Wir als Bund der Alevitischen Jugendlichen beobachten Türkischen Rechtsextremismus seit Jahrzehnten — mit Vorfällen, Einschüchterungen und politischer Einflussnahme. Lange wurde türkischer Rechtsextremismus als importiertes Problem gesehen, dabei sind die Strukturen Teil der deutschen Realität. Das Thema wird seit Jahren kleingeredet.

Was genau will Ihre Fachstelle erreichen? 

Wir wollen den türkischen Rechtsextremismus als ­festen Bestandteil der deutschen Extremismus-Prävention etablieren. Er gehört auf die Agenda der Demokratieförderung, der politischen Bildung und der Sicherheitsbehörden. Das ist kein Nischenthema, sondern geht alle etwas an. Das Thema braucht Forschung, Bildung und Monitoring. Wir wollen Materialien für Institutionen und Betriebe entwickeln, Schulungen anbieten, wir arbeiten mit Forschenden wie dem Kölner Kemal Bozay zusammen.

Wie definieren Sie türkischen Rechtsextremismus und wie unterscheidet er sich von anderen Strömungen? 

Zentral ist der Turanismus: eine Ideologie, die ein großtürkisches Reich von Europa bis Zentralasien propagiert. Feindbilder sind Kurd:innen, Alevit:­innen, Armenier:innen, Pontosgriech:innen, Jesid:innen, queere Menschen, Linke und Anders­denkende. Es gibt inhaltlich viele Überschneidungen mit deutschem Rechtsextremismus: ­Antisemitismus, Nationalismus, LGBTIQ-Feindlichkeit, Antifeminismus, autoritäre Strukturen. Die Szene wird ideologisch, finanziell und politisch von der Türkei unterstützt — insbesondere durch die Nähe der AKP zur ultranationalistischen MHP.

Wie groß ist die Szene, besonders in Köln? 

Der Verfassungsschutz spricht bundesweit von 18.000 organisatorisch Gebundenen — die tatsächliche Zahl dürfte deutlich höher sein, weil viele nicht formell organisiert sind. Dazu zählen die »Grauen Wölfe« mit Dachverbänden wie »Türk Federasyon« und ATIB, aber auch Gruppen wie UID. Auch in Köln gibt es rechtsextreme Veranstaltungen, bei denen der Wolfsgruß gezeigt und nationalistische Musiker gefeiert werden, teils in privat gemieteten Hallen. Verbände wie die »Inisiyatif Türk Köln« und auch einige Ditib-Gemeinden sind da beteiligt. Besorgniserregend ist der öffentliche Widerstand gegen das Mahnmal zum Genozid an den Armenier:innen an der Hohenzollernbrücke, inklusive Unterschriftenaktionen durch lokal verankerte Strukturen. Solche Fälle zeigen, dass rechtsextreme Ideologien auch in städtischen Netzwerken präsent sind.

Wie gehen diese Gruppen vor?

Sie betreiben Kulturzentren, Sportvereine, Jugendgruppen, Nachhilfeeinrichtungen — oft mit praktischen Angeboten. Dort wird Zugehörigkeit geschaffen, Identität gestärkt, häufig verbunden
mit Opfererzählungen und Rassismuserfahrungen, die ideologisch aufgeladen werden. Einige Jugendliche übernehmen unkritisch Symbole wie den Wolfsgruß, Fahnen, Parolen, Musik. Social Media verstärkt das —  die Reichweite ist enorm.

Wie äußert sich die Bedrohung im Alltag? 

Es gibt auch im Kölner Umland Angriffe auf alevitische Gemeinden, Vandalismus, Morddrohungen. Fenster wurden eingeschlagen, rote Kreuze an Türen hinterlassen — eine klare Einschüchterung, die an das Massaker von Maraş in den 70er ­Jahren erinnert. Auch in Schulen kommt es zu Diskriminierungen und verbalen Übergriffen. Die Betroffenen werden damit häufig allein gelassen. Ein anderes Beispiel: Der Onkel einer Freundin von mir war Opfer beim NSU-Nagelbombenanschlag in der Keupstraße. Dennoch sagt er, dass er türkischen Rechtsextremismus mehr fürchtet als deutschen. Das ist bezeichnend für das Gefühl der Bedrohung in den Communitys.

Wird das Thema von der Politik ernst genommen? 

Es fehlt am ­Wissen — aber vor allem am Willen. Viele sehen türkischen Rechtsextremismus als innermigrantisches Thema, das man lieber meidet. Ignoranz ist ein großes Problem: Alle werden als »Türken« zusammengefasst, Unterschiede ausgeblendet. Ich war einmal bei einem Fastenbrechen im Landtag, bei dem auch Menschen eingeladen waren, die rechtsextreme Strukturen vertreten. Die Politik muss genau hinschauen und darf nicht nur das Ziel verfolgen, ein positives Vielfaltszeichen zu setzen.

Manche fürchten, Kritik könne migrantische Communitys pauschalisieren. Wie gehen Sie damit um?

Diese Sorge ist nicht ganz von der Hand zu weisen, aber wir müssen trotzdem offen sprechen. Unsere Kritik richtet sich nicht gegen Herkunft oder Religion, sondern gegen Ideologien. Wenn wir das klar kommunizieren, können Missverständnisse vermieden werden. Es fällt nicht immer leicht, darüber zu sprechen — aber wie schwierig ist es erst für Betroffene, die nicht ernst genommen werden?

Özge Erdoğan leitet die Fachstelle ­Türkischer Rechtsextremismus. Sie ist beim Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland angesiedelt.