Gaucho-Cosplay
Zur Eröffnung des diesjährigen Festivals ist Kino Latino ein veritabler Coup gelungen: Gezeigt wird »La práctica«, anwesend dazu ist der Regisseur des Films, Martín Rejtman — also niemand Geringeres als der Vater des Neuen Argentinischen Kinos der 90er Jahre, dessen Erstling »Rapado« (1992) lange vor den Debüts weiterer Protagonistinnen und Protagonisten dieses Kontexts entstand. Und wenn man schon einmal so hohen Besuch hat, dann ist es mehr als nur sinnvoll, gleich noch einen Film von ihm zu zeigen: Rejtmans ebenfalls aktuellen, zu Covid-Zeiten zwischen Buenos Aires und Caracas gedrehten Zweiradkurier-Dokumentarfilm »El repartidor está en camino«.
Das interessantere Werk ist letzteres, weil es sich mit einer Kultur beschäftigt, der man jeden Tag begegnet, und deren Existenz an sich einem ähnlich viel über die ökonomischen Realitäten erzählt wie die Scharen von Flaschensammlern. Kernunterschied: Die Kuriere sind gemeinhin jung. Rejtman beobachtet dabei »nur«; Fakten zum Phänomen hat der Film kaum zu bieten. Aber was soll man auch noch groß sagen angesichts der Energie, die da dauernd umgesetzt wird, und die offenbar billig genug ist, um dieses Geschäftsmodell rentabel zu machen?
Immerhin fühlt man sich danach nicht so unwohl wie nach Michael Dwecks und Gregory Kershaws »Gaucho Gaucho«, dessen Wille zum gefällig gestalteten Bild der Arbeits- und Lebenswelt argentinischer Viehhirten den unpassenden Charme einer Cosplay-Veranstaltung verleiht. Möchte der Arthouse-Besucher seine Arbeiterschaft so? Dekorativ und harmlos? Da schaut man sich doch lieber Juan Francisco Oleas »Oro amargo« an, in dem es um eine ähnlich gestrig wirkende Kultur geht: die der — in diesem Fall illegalen — Goldgräber, bei denen es dann ab und an auch mal kracht.
Die Akademiker-Mittelschicht in den Komödien »La práctica« wie auch in »Puan« von María Alché und Benjamín Naishtat sieht allerdings nicht wirklich weniger kostümiert aus als die Gauchos, nur weniger exotisch. Beide Filme drehen sich um furchtbare Menschen, die ihre Welt nicht für eine Sekunde hinterfragen — auch wenn sie das zu tun glauben.
Sa 21.–Mi 26.6., Filmhaus
Infos: filmhaus-koeln.de