Jenseits von unsichtbar
Der Juni erweist sich als prallvoll mit Filmen, die zu schauen sich lohnen. Aus der Sammlung von Leo Schönecker gibt es im Filmforum NRW John Hustons ausgesprochen bizarren »Die Totenliste« (1963) zu begutachten. Huston ist ja ein Filmemacher mit Top-Auteur-Status, der eigentlich noch unterschätzt ist. Liegt wahrscheinlich an der kuriosen Lässigkeit, die sein Schaffen verbreitet, auch an seiner Freude an Spielereien. Was »Die Totenliste« zu so etwas wie einem Meta-Werk Hustons macht, dreht sich in diesem tiefenentspannt klassisch sich gebenden Detektivstück doch alles darum, Schauspieler in Masken zu erkennen — in einem Stoff, in dem der Täter sich selbst dauernd hinter neuen Masken verbirgt.
Ungleich ernster und völlig frei von allen medialen (Selbst-)Bespiegelungen geht es zu in einem besonders schönen Programm, das Köln im Film (siehe auch S. 44) unter dem Titel »Work in Progress« präsentiert, allen voran Claudia von Alemanns Doku über Frauen in der Metall- und Elektroindustrie »Es kommt drauf an, sie zu verändern« (1973). Besondere Aufmerksamkeit gebührt auch einem WDR-»Schauplatz«-Beitrag von 1982: »Bandstraße — Diese spontane Arbeitsniederlegung war nicht geplant« von Klaus Baumgarten, Thomas Giefer und Yüksel Uğurlus, in dem sich Zeitzeugen an den Ford-Streik von 1973 erinnern
und wie dem Gros der Hiesigen das Schicksal ihrer türkischen Kollegen scheißegal war.
Wenn man diese Arbeiten schon sehr selten zu Gesicht bekommt, dann fehlen einem die Adjektive für viele der Werke, welche der Filmclub 813 in seiner Reihe mit Filmen aus dem Fassbinder-Umfeld zeigt — gibt es etwas jenseits von unsichtbar? Das gilt für Michael Fenglers als Fernsehspiel entstandenes Soloregiedebüt über den Teufelskreis der Fürsorgezöglingsexistenz, »Weg vom Fenster« (1970), und Christian Hohoffs Moritat über das Verlangen eines Mittelalten nach einer Minderjährigen, »Spiel der Verlierer« (1978). Im Vergleich dazu werden einem Ulli Lommels quasi improvisiertes Krimi-Mysterienspiel »Haytabo« (1971), Peer Rabens herrlich haltloser Lustfilm »Heute spielen wir den Boss — Wo geht’s denn hier zum Film?« (1981) sowie Kurt Raabs und Peter Kerns bist-du-deppert-deliranter »Die Insel der blutigen Plantage« (1983) regelrecht nachgeworfen. Nicht, dass man ihnen deshalb aus dem Weg gehen sollte, ganz im Gegenteil!