Menschen sind schöner, wenn sie frei sind
Wer Werner Müllers Dokumentarfilm »Mich kriegt ihr nicht!« (2016) über Manfred Weil sieht, wird staunen. Mit rheinischer Leichtigkeit, Humor, aber auch Ernst und Verletztheit erzählt darin der 1920 in Köln geborene, im Jahr 2015 verstorbene Manfred Weil aus seinen jungen Lebensjahren. Als Jude wurde er von seinen Kölner Mitbürger*innen im Zuge der sich ausbreitenden nationalsozialistischen Gewaltherrschaft denunziert und misshandelt.
1939 flüchtete er zusammen mit seinem Bruder Anatol nach Antwerpen; nach dem deutschen Einmarsch in Belgien landete Weil zusammen mit seinem Vater Emil im Konzentrationslager für deutsche Flüchtlinge Saint-Cyprien im Süden Frankreichs. Später kamen sie ins Camp de Gurs nördlich der Pyrenäen. Manfred Weil gelang die Fluch, auch durch die Hilfe »einfacher Leute«, wie er sagt, etwa durch drei Kinder in Bordeaux, die ihm zu Essen gaben.
Es begann sein langer Weg über Belgien, Deutschland und die Schweiz zurück in die Freiheit — mit illegalen Aufenthalten, Arbeitslagern, Zuchthaus und geprägt durch lebensgefährliche Aktionen, Masel und Chuzpe.
Manfred Weils Leben, das auch Mechthild Kalthoff in ihrem Buch »Sein oder Nichtsein« (2002) nachzeichnet, ist voller Geschichten, denen man Aufmerksamkeit schenken sollte — nicht zuletzt für die aktuell so benötigten Lehren aus der Vergangenheit. Seine ereignisreiche Biografie ist unterdessen genauso Kompass für das Verständnis seiner Kunst und seiner kulturellen Tätigkeiten. Schauen wir also zu seinem 10. Todestag nochmal genauer auf diese künstlerische Vita!
Seit den 1950er Jahren war Manfred Weil kontinuierlich als freischaffender Maler und Grafiker im Rheinland präsent, vor allem in Köln und Bonn. Weil, der als Jugendlicher Innenarchitekt hatte werden wollen, absolvierte eine Tischlerlehre in Köln, bevor er seinem Vater nach Antwerpen folgte, der bereits 1937 geflohen war. Durch die Unterstützung eines Nachbarn, der sich für das Malen interessierte, schrieb Weil sich 1939 an der Königlichen Akademie der schönen Künste in Antwerpen ein. Zeitgleich besuchte er eine Abendschule für Innenarchitektur — bis Weil und sein Vater 1940 nach Frankreich deportiert wurden. Fünf Jahre lang verteidigte Manfred Weil sein Leben.
Nach dem Krieg kehrte er nach Deutschland zurück, sogar ins Rheinland. Aufgrund der Wohnungsnot in Köln zog er aber nach Bonn. Bereits 1946, nicht lange nach Kriegsende, gab er seiner Begeisterung für die Künste wieder Raum, begann ein Studium der Wandmalerei bei Otto Helmut Gerster an den soeben wiedereröffneten Kölner Werkschulen. Gersters monumentale Wandkunstwerke dekonstruierten Körper zu Flächen im Raum. Dies mag auf Manfred Weils Bilder kompositorisch gewirkt haben, zeichnen sich vor allem seine großformatigen Ölgemälde durch eine flächenhafte Gestaltung von Menschen und Gebäuden aus. Figuren ohne Gesicht werden zu stillen Protagonist*innen in weiten Landschaften. Häuser ohne Fenster stehen umsäumt von geometrisch gewachsenen Hecken in lichtvoller Weite.
1951 wird Manfred Weil Gründungsmitglied der Künstlergruppe Bonn, die aus dem Bonner Künstlerbund hervorging. Als freischaffender Maler und Grafiker beginnt er nicht nur, eigene Werke auszustellen, sondern Ausstellungen im Rahmen der Vereinsarbeit für Künstlerkolleg*innen zu organisieren. Das tägliche Zeichnen und Malen ist ebenso Bestandteil seines Lebens wie das Betrachten von Kunst, sukzessiv entsteht ein umfangreiches Œuvre aus Porträts, Stillleben und Genremalerei.
So verwundert es nicht, dass er 1977 bis 1982 zusammen mit seiner Frau Alisa Weil die »Galerie in C« in Köln am Hohenstaufenring inhaltlich begleitet hat: Manfred Weil kuratierte die dort gezeigten Ausstellungen, Alisa Weil betreute die Besucher*innen. Überhaupt spielte die Zusammenarbeit zwischen den Eheleuten eine essenzielle Rolle, war es doch Alisa, die ihrem Mann den Rücken zum Malen freihielt, indem sie etwa seine Ausstellungsanfragen koordinierte und ihn logistisch bei seiner freischaffenden Arbeit unterstützte — wovon die Familie lebte.
Weils ereignisreiche Biografie ist genauso Kompass für das Verständnis seiner Kunst
Manfred Weils Bildsprache, die in seinen Malereien sowie Papierarbeiten zunehmend von einem schwungvollen Gestus getragen sind, mit dem er in nur wenigen Pinselstrichen oder Graphitlinien Körperkonturen, Gestik und Mimik erfasst, mündet nicht ohne Grund in das Anfertigen von politischen Karikaturen. Über Jahrzehnte hinweg belieferte er damit die SPD-Zeitung vorwärts. Engpässe in der Pflege, Klimachaos, Wohnungsnot, ungerechte Kapitalverteilung, Fake News und globale Schieflagen in der Völkerverständigung sind seine Themen gewesen, sie finden sich im aktuellen Weltgeschehen auf erschreckende
Weise widergespiegelt. Als hätte Manfred Weil seine Bildkommentare erst gestern für uns gezeichnet!
1995 erhält Weil das Bundesverdienstkreuz am Bande. 2011 wird in Eichstetten ein Stolperstein für seinen Vater Emil Weil verlegt, der 1942 in Auschwitz ermordet wurde und dessen Haltung und Moral Manfred Weil zeitlebens geprägt haben.
Hervorgegangen aus der letzten Manfred-Weil-Ausstellung in Köln, die 2024 in der Galerie Smend stattfand, ist für das Jahr 2026 auch für ihn und seinen Bruder Anatol eine Stolpersteinlegung in Köln vorgesehen. Erst vor wenigen Wochen endete eine Ausstellung zu seinem Werk im kunstFleck im niedersächsischen Kunstverein Region Dahlenburg. Schulamith Weil, seine Tochter und Nachlassverwalterin, hat sie ausgerichtet. Akte am Strand und im Zirkus in Aquarell, Malereien, die Menschen in Gesprächen miteinander zeigen; ein im Dickicht versunkener Mensch, der liest, und einander zugewandte, sich zuhörende Personen — das sind Motive, die Manfred Weil vor allem in seinem Spätwerk umsetzte.
Die Bezugnahme zueinander und die gegenseitige Achtung sind Themen, die sich in sein Werk eingeschrieben haben. Manfred Weil war an Gerechtigkeit interessiert, daran, dass Menschen gesehen werden. Dafür setzte er sich zeitlebens ein: in seinem Überleben im Widerstand während des Zweiten Weltkrieges, und später dann in seiner Kunst. Die Würdigung des Künstlers als auch die institutionelle Rezeption des umfangreichen Werks von Manfred Weil, der seit den 1980er Jahren in Meckenheim lebte und insgesamt über 70 Jahre im Rheinland als freischaffender Künstler tätig war, scheint gerade erst am Anfang zu stehen.
Weitere Infos, Termine und die DVD: manfred-weil.de