Zeitlos: Éliane Radigue an ihrem ARP2500, Foto: Yves Arman

Lange, gewundene ­Bänder

Éliane Radigue ist auf der »Brückenmusik 30« zu hören

Beharrlich, konzentriert, langsam — eindringlich: So entwickeln sich die Stücke der heute 93-jährigen französischen Komponistin Éliane Radigue. Wer sich nicht die Zeit nimmt, um sie hörend zu durchdringen, wird sie als minimalistisch, oder wie das heute ­genannt wird: dronig »einordnen«. Aber man verpasst dann das beste. Die langen, schwebenden, liegenden, kriechenden Klänge erweisen sich als ineinander verschlungen; was sich linear entwickelt, zeigt sich als Schichtung.

Jahrelang, mittlerweile: jahrzehntelang hat sie sich mit dem Synthesizer ARP2500 auseinandergesetzt und ihren eigenen Weg zwischen kalifornischer Technologiebegeisterung und französischer Klangskulptur (musique concrète) gefunden. Alle paar Jahre veröffentlicht sie ein neues Werk, eins zwingender und schlüssiger als das andere. Längst wird sie als eine der wichtigsten Komponist:innen der elektronischen ­Musik gefeiert. Sie entwirft eine äußerst lebendige Musik — wenn man sich auf eine andere Zeitstruktur, eine der langen Dauer, einlässt. Radigue Schlüsselkomposition »Koumé« von 1993 ist dieses Jahr auf — oder besser: in — der Brückenmusik zu hören (18.–29.6.). Das Festival für Klangkunst und Neue Musik im 550 Meter ­langen Hohlkörper der Deutzer Brücke feiert dieses Jahr sein 30-jähriges Jubiläum. 1995 zur ­Eröffnung dabei: Éliane ­Radigue mit »Koumé«.

Dass das Stück das 12-tägige Festival bestimmen wird, ist keine nostalgische Anwandlung. Es ist ja nahezu unmöglich, bei Radigues Musik die Übersicht zu behalten. »Koumé« definiert sich nicht über einen Anfang und ein Ende und den Bogen, der beide miteinander verbindet. Man ist immer mitten im Klang- oder eben Hörprozess und muss in ­jeder Minute seine Haltung zu dieser Musik neu für sich finden. Man kann also nicht die Aufführung 1995 mit der heutigen vergleichen. Man wird noch nicht mal die diesjährigen Aufführungen miteinander gleichsetzen können: Obwohl immer das gleiche Stück, wird es für den Hörer jedes mal anders klingen.

Es empfiehlt sich also, die Brückenmusik gleich mehrfach zu besuchen. Denn dadurch lebt dieses Festival: einerseits durch die Kontinuität, andererseits durch die Möglichkeit, in jeder Aufführung neue Klangschichten zu entdecken.

Brückenmusik: 18.–29.6., Toreinfahrt gegenüber vom Drumcenter Markmannsgasse 9–11. Radigues »Koumé« wird in geführten Konzerten im Mittelsegment der Brücke über eine doppelquadrophonische Lautsprecherkonstellation zu hören sein. Es finden je zwei Aufführungen pro Tag statt.
Infos und Anmeldungen unter brueckenmusik.de