Ulrike Theusner, Secret Entrance, 2023

Neuer Expressionismus

Unruhe ist das Leitmotiv von Ulrike Theusners Schau in Bonn

Verlassene Straßenschluchten, anonyme Hochhausfassaden, verlorene Glückssucher vor queeren Clubs und nächtliche Heimkehrer — Ulrike Theusner (*1982) fängt in ihren Gemälden, Zeichnungen und Druckgrafiken die »Schattenseiten« (so der Ausstellungstitel) des urbanen Lebens ein. Ihre farbintensiven Stadtansichten, die aus einem Geflecht von Linien entstehen, sind voller Spiegelungen, Brechungen und schemenhafter Wesen. Die ner­vöse Strichführung der Weimarer Künstlerin spiegelt ein tiefes ­Gefühl von Unruhe und Verunsicherung wider. In ihren Porträts ­bewegt sich ein »Dandy« buchstäblich am Abgrund, beim ­»Happy Couple« ist das Glück zu fratzenhaften Masken erstarrt.

Auch durch die Landschaften zieht sich fast leitmotivisch das Gegeneinander der komplementären Farben rot und grün. Das grelle »Arkadia« gerät zu einer unheilvollen Dystopie, der Ausblick auf den »Green River« zu einer düsteren Wasserszene. Malweise und Farbigkeit erinnern stark an die Expressionist:innen, auch an Van Gogh und Edvard Munch. Theusner bewunderte deren »Substanz in der Technik« schon während des Studiums, ohne sie beim Malen direkt im Kopf zu ­haben, wie sie erklärt.

Das von Nervosität geprägte Lebensgefühl des ausgehenden 19. und der ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts war dem gegenwärtigen nicht unähnlich. Ruhe und Entspannung finden die Menschen in Theusners Bildern weder im Schlaf noch in den Zufluchtswelten von Theater, Zirkus, Karneval oder Glücks­-spiel. Allenfalls in der Selbstbespiegelung könnten kontem­plative ­Momente entstehen.

Doch die Identitätssuche der Selfie-Generation kann den ­düsteren Zustand der Welt nicht mehr ausblenden: Einsam und traurig blickt die ­»Venus« in ihr Handy, hinter ihr zeigen sich ­fratzenhafte ­Dämonen.

Mit ihren über 80 Arbeiten im ­Erweiterungsbau des August ­Macke Hauses eröffnet Theusner einen neuen Blick auf das Werk des ­Mitbegründers des Blauen Reiter, dessen Malerei heiterer und optimistischer wirkt. Im ehemaligen Atelier des Künstlerhauses reagiert sie mit der Installation »Eden« direkt auf sein Wandbild »Paradies«. August Macke malte es zusammen mit Franz Marc 1912, kurz bevor er mit 27 Jahren gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs fiel.

Dem positiven Kosmos der beiden Künstlerfreunde verleiht die Endzeitstimmung in Theusners Paradiesgarten mit seinen winzigen, kopulierenden Figuren, den Trockenblumen und Reagenzgläsern eine bittere Note.

Museum August Macke Haus, ­Hochstadenring 36, Bonn, Ulrike Theusner »Schattenseiten«, bis 17.8.; Mi 11–17 Uhr, Do 11–19 Uhr, Fr–So 11–17 Uhr