Unter Freunden
Man sollte meinen, dass sich Dokumentarfilme besonders gut zur Vermittlung von Musik eignen. Anders als bei Platten- oder Konzertbesprechungen in Zeitungen oder im Internet, die sich mit oft blumigen Formulierungen bemühen, Musik in Worte zu fassen, ist das im audiovisuellen Medium Film nicht nötig — schließlich kann hier die Musik einfach für sich »sprechen«.
Dennoch versuchen viele der fast 30 Langfilme, die beim Filmfestival See the Sound gezeigt werden, in unterschiedlichen Formen über Musik zu sprechen, die an sich oft ephemeren Qualitäten eines Songs oder eines Orchesterstücks in Worte zu fassen. Es sind Beispiele aus dem Feld des biographischen Dokumentarfilms, das in den letzten Jahren enorm gewachsen und auch bei See the Sound stark vertreten ist. Besonders Künstler aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind dabei ein beliebtes Sujet, aus einem offensichtlichen Grund: Mit der flächendeckenden Verbreitung des Fernsehens und später durch immer günstiger werdende Video- und Smartphone-Kameras ist ein enormes Bildarchiv entstanden, ohne das viele dieser Filme gar nicht denkbar wären.
Mit der Verbreitung des Fernsehens, der Video- und Smartphone-Kameras ist ein enormes Bildarchiv entstanden, ohne das viele dieser Filme gar nicht denkbar wären
»Once Upon a Time Michel Legrand« etwa, in dem der Franzose David Hertzog Dessides seinen legendären Landsmann porträtiert, den 1932 geborenen Pianisten, Sänger und Komponisten Michel Legrand. Dem Kinopublikum wurde Legrand etwa durch seine Arbeiten für Agnès Varda oder Jacques Demy bekannt, für dessen »Die Regenschirme von Cherbourg« er die Musik schrieb. Die junge Catherine Deneuve spielte damals die Hauptrolle und taucht nun ebenso als Zeitzeugin auf wie Sting, Barbra Streisand und viele andere, die sich euphorisch und auch mal etwas verklärend an den 2019 verstorbenen Legrand erinnern.
Eine ähnliche, inzwischen ebenso beliebte Herangehensweise wählen Billy Shebar und David Roberts in »Monk in Pieces« über die US-amerikanische Allroundkünstlerin Meredith Monk, die sich in den 60er Jahren in New York als Komponistin, Sängerin, Choreografin und Multimedia-Künstlerin etablierte. Wegbegleiter wie David Byrne oder Merce Cunningham kommen im Film zu Wort, vor allem aber bietet dieser eine rasant geschnittene Collage, die Monks Kunst in den Kontext der damals ebenso wilden wie visionären Stadt setzt.
Ohne die Möglichkeiten moderner Schnitttechnik wäre ein Film wie »Monk in Pieces« kaum denkbar — das ausufernde Material zu sortieren, es zu oft atemlosen Bildern zu montieren, war im analogen Schnitt in dieser Form kaum möglich, führt heutzutage dann aber oft dazu, dass die Rasanz der Bilderfluten fehlende Substanz zu kaschieren scheint.
Diese Gefahr besteht bei David Charles Rodrigues’ »S/He Is Still Her/e — The Official Genesis P-Orridge Documentary« nicht, einem liebevollen Porträt über die sich jeder Kategorisierung entziehende Person, die als Neil Andrew Megson geboren wurde, Bands wie Throbbing Gristle oder Psychic TV gründete, rund 200 Platten aufnahm, skandalumwitterte Performances ablieferte, in den USA ins Exil ging und genderfluid lebte, bevor dies als Thema im Mainstream ankam.
Ähnlich vielseitig, aber doch viel konventioneller mutet dagegen Damon Albarn an, Leadsänger der Brit-Pop-Band Blur, die einst die britischen Charts dominierte und inzwischen, auch durch die Nostalgiewelle, die längst die 90er Jahre erfasst hat, wieder das Wembley-Stadion füllt. Die Vorbereitung für die Reunion-Konzerte 2023 zeichnet »Blur: To the End« nach. Dabei nutzt Regisseur Tony L. die enge Beziehung, die er im Laufe der Jahre zu Albarn und seinen Bandkollegen entwickelt hat, um intime Momente zwischen den inzwischen angegrauten Mittfünfzigern einzufangen, die längst selbst in den Häusern auf dem Land leben, die sie einst ironisch besangen.
Emblematisch zeigen sich hier Nutzen und Kosten des freundschaftlichen Umgangs von Regie und Subjekt: Er macht Vieles, wie etwa auch den Zugang zu unveröffentlichtem Archivmaterial, überhaupt erst möglich, einen kritischen Umgang mit dem Material sollte man allerdings nicht erwarten. Was man als Fan vermutlich auch gar nicht möchte, von Bands oder gar Nachlassverwaltern inzwischen aber auch kaum noch zugelassen wird. Gefährlich nah bewegen sich dementsprechend etliche der nun bei See the Sound zu sehenden Dokumentarfilme an der Hagiographie.
Mi 9.7.–So 13.7., div. Orte. Infos: seethesound.de