Körpervertiefungen und Nachbilder
Abstrakt gesehen bilden Falten die Klammer der Doppelausstellung von Kinke Kooi und Roland Schimmel. Die beiden sind ein Paar, arbeiten seit fast 40 Jahren in zwei Ateliers unter einem Dach in Arnhem und stellen nun in der Temporary Gallery (kuratiert von Lisa Klosterkötter) unter dem Titel »Embracing The Fold« zum ersten Mal (!) gemeinsam aus.
Was von ihr stammt und was von ihm, ist gut zu unterscheiden. Auf rosa grundierten Papieren dringt Kinke Kooi (*1961) zeichnerisch weit in Körperfalten und -höhlen ein, hebt Ritzen, Tunnel und Ausstülpungen hervor und füllt die Zwischenräume mit filigranen Ranken, Rüschen und Perlen. Getragen wird sie von dem »Gefühl, dass nichts unsichtbar ist, wenn man nur genau genug hinschaut«. Ihr fantasievoller Kosmos menschlicher, meist weiblicher Körper ist ihr ein Zufluchtsort, wie sie in einem Interview erklärt: »Ich komme zur Ruhe in den Löchern der Schande. Ich lebe eine Weile in ihnen, ich erkunde sie.« Wie eine Naturforscherin seziert sie detailreich Pflanzen, Muscheln und Insekten.
Bei den Gemälden von Roland Schimmel (*1954) erschließt sich die Analogie zu den Falten nicht direkt. Neben den oft schwarzen, schablonenartig geschnittenen Kreisformen erscheinen pastellfarbene, sphärische Strahlen und Reflexionen. Sie wirken wie Nachbilder, die entstehen, wenn man in die Sonne geschaut hat. Der Künstler visualisiert und »entfaltet« subtile Wahrnehmungsprozesse, Phantombilder, die nach dem Sehen auftauchen.
Während der Beginn des Rundgangs stark von Koois Körpervertiefungen geprägt ist, bietet der hintere, gleißend helle Raum den perfekten Rahmen für die schwimmenden Farbverläufe ihres Partners. Das kurvenreiche Raumkonzept der Ausstellung von Astrid Kajsa Nylander und Pål Rodenius mit Möbeln, Teppichen und Wänden in hellen Farben lullt die Besucher:innen in seinen sanften Babyfarben geradezu ein. Wer möchte, kann sich unter den fast vollständig geöffneten Oberlichtern auf ein Riesenkissen legen und sich wahlweise in den Himmel oder die Wandmalerei von Roland Schimmel träumen. Einige seiner Bilder tragen den Titel »Un-fixing the Past«, was sich mit »Die Vergangenheit wieder in Ordnung bringen« übersetzen lässt. Was passiert, wenn der Lichtreiz abgeklungen ist? Beide Künstler:innen machen sichtbar, was eigentlich unsichtbar ist: sie vor dem Hinschauen, er danach.
Temporary Gallery, Mauritiussteinweg 35 bis 10.8.; Do–So 12–18 Uhr