Den elektrischen Palmwedel hat er auch noch in petto: Andreas O. Hirsch in Aktion Foto: Nik Kern

Harmonien in F-Molch

Der Kölner Klangkünstler Andreas Oskar Hirsch schöpft aus der Fluxus-Tradition dieser Stadt und schafft wundersame Popsongs

Fluxus Köln. Die amphibischen bad news reißen nicht ab. Nicht nur grassiert derzeit die Pest unter den deutschen Feuersalamandern, im Voting für das neue Maskottchen des Saarlands gewann die »Saarmeise« haushoch gegen den »Saarlamander«. Doch für den Musiker und Labelbetreiber Andreas Oskar Hirsch — dieser tierisch tolle Name ist bloßer Zufall, ganz sicher! — ist das noch lange kein Grund die Flinte ins Korn zu werfen. In der Welt des Kölners trinken die Salamander nämlich genüsslich Tee und bauen diplomatische Beziehungen auf. So jedenfalls lautet die Rahmenerzählung der vierten Solo-LP des Soundtüftlers: »The Salamander Treaty« baut auf dem utopischen Science-Fiction-Roman »Der Krieg mit den Molchen« (1936) des tschechischen Autors Karel Čapek auf. 

Während in dem fälschlicherweise als Kinderaugen-Roman bezeichnetem Originaltext die Molche in Bildern und Buchstaben festgehalten werden, wendet sich der Musiker Hirsch einem obskuren Gerät zu: Hinter dem Carbophone, das dem Vorgänger-Album »Early Carbophonics« schon den Titel lieh, verbirgt sich ein selbstgebautes Instrument, dessen Äußeres an das Modell eines komplexen Sternensystems erinnert. Aus einem hölzernen Fundament ragen Stangen empor, Kugeln, mit denen das Instrument gestimmt wird, stecken auf den Stangen — dazu kommen Gummis, Federn und Elektronik. Das Basteln liegt Hirsch im Blut: »Schon als Kind habe ich permanent geschraubt, dann mit dem Fotoapparat experimentiert und später die Musik entdeckt«, sagt er im Interview. Kaum war die Begeisterung für Sounds geweckt, machte er sich schon selbst ans Werk: »Ich nahm allerlei auf, improvisierte Zwei-Spur-Verfahren, so was halt.« 

Sein Weg führte ihn in den 1990er Jahren aus seiner Geburtsstadt Leverkusen in die Nachbarmetropole: an die Kölner Kunsthochschule für Medien, wo er beim abenteuerlustigen Jürgen Klauke studierte. Hirsch bezeichnet diese Zeit als fantastisch, weil dort allerlei Experimente möglich und willkommen waren. Da wurden auch mal Eier in die Luft gesprengt und fotografiert.

Etwa zur selben Zeit landete er auf der Kyffhäuser Straße in dem Haus, »in dem der Fluxus-Künstler Al Hansen tot vom Stuhl fiel«. Dieser Fluxus-Kosmos, der sich allein durch die räumliche Nähe für ihn auftat, potenzierte sein ohnehin vorhandenes Verhält­nis zu Musik, zur Technik-Affinität, zum avantgardistischen Denken und zum Do-It-Yourself. Hirsch sei, so stellt er klar, jedoch gar nicht tief in die Szene eingestiegen, es sei eher so etwas wie ein Geist oder eine Mentalität gewesen, die er dort erfahren und mitgenommen habe. Es dauerte eine ganze Zeit bis dieser Geist aus der Flasche kam, musikalisch hat sich Hirsch anfangs noch an »radebrechenden Surf-Sound« abgearbeitet, zu dem er »Garagen-Gitarren« beigesteuert hat. Dann aber entdeckte er an einem griechischen Strand Palmwedel und fragte sich, ob man daraus nicht ein Instrument basteln könne: Nach einigen Jahren, in denen die Idee reifen musste, entstand der erste elektrifizierte Palmwedel. Ein rohes Instrument, das im Klang und Funktion an afrikanische Lamellophone wie das Kalimba erinnert. Gepaart mit Loop-Maschinen und Effekten aber, lässt sich schon hieraus eine eigenständige Musik formen, die naturgemäß eher durch Rhyth­mus als durch ausgefeilte Harmonien geprägt ist. 

Mit vielen Fingern gespielt entstehen nach und nach Wasserfälle an Plops, Plicks und Beeps, die auf 
uns niederprasseln

Das Carbophone stellt so gesehen die logische Weiterentwicklung der Technik dar, basiert sie gleichermaßen auf dem pluckernden Antippen der verschiedenen Bauteile. Mit vielen Fingern gespielt entstehen nach und nach Wasserfälle an Plops, Plicks und Beeps, die auf die Hörer*innen niederprasseln.

Auf dem Neuling »The Salamander Treaty« kommt dieser anfangs noch ungeschliffene Entwurf ausgereift daher: Andreas O. Hirsch zeigt hier, wie man aus wenigen Mitteln Geschichten von einnehmender Qualität entwickeln kann. Das Stück »Rise« ist ein gondelnder Tagtraum, der klanglich von seiner perkussiven Struktur gehal­ten wird, bis ihn Elektroschocks durchfahren. »Drifting Newts« hingegen klingt nach dem, was ein südostasiatisches Gamellan-Orchester wohl spielen würde, wenn man es vor eines von Hirsch selbstgebauten Instrumenten ­setzen würde. »The Salamander Treaty«, von Hirsch auf seinem ­eigenen makiphone-Label veröffentlicht, behält bis zuletzt einen abenteuerlichen Drive, der ganz nebenbei noch auf eine Reise durch 60 Jahre Lo-Fi- und Instrumental-Experimente einlädt. Endlich erbauliche Nachrichten für die Salamander-Gemeinde.

Tonträger: »The Salamander Treaty« ist via makiphon.de erhältlich