Amateur oder Meisterdieb? Josh O’Connor; © 2025 Mastermind-Movie-Inc

»The Mastermind« von Kelly Reichardt

Kelly Reichardt knöpft sich mit ihrer umarmenden Weltsicht das Heist-Genre vor

J. B. Mooney geht mit seiner Familie gerne ins Museum. In Framingham in Massachusetts gibt es nur wenige Attraktionen, und auch in den Ausstellungsräumen zeigt sich die Kleinstadt verschlafen. Zwischen Schaukästen mit Figurinen der American History und abstrakten Gemälden von Arthur Dove haben sich kaum Besucher verloren, das Aufsichtspersonal döst vor sich hin. Durch einen ­Zufall entdeckt J. B., dass die Vitrinen nicht verschlossen und die Gemälde nicht gesichert sind. ­Vergeblich provoziert er die Security durch auffälliges Verhalten. Doch das Personal lächelt ihn im Vertrauen in das Gute seiner Mitmenschen nur mitleidig an. Und so fasst er den Plan zu einem — seiner Meinung nach perfekten — Art Crime. Seine Freunde machen mit, die Langeweile ihrer kleinbürgerlichen Existenz macht ihnen zu schaffen. Aber natürlich hat das »Mastermind« J. B. den Heist nicht zu Ende gedacht. 

Anders als J. B. ist Regisseurin ­Kelly Reichardt das eigentliche Mastermind dieser grandiosen Heist-Movie-Neuinterpretation. Auf ihrer Werkliste stehen etliche Genres: das Buddy-Movie mit »Old Joy«, das Roadmovie mit »Wendy and Lucy« und der ­Western mit »Meek’s Cut-Off« und »First Cow«, die sie allesamt sehr lebensweltlich, teils auch femi­nistisch neu interpretiert. Nun taucht sie mit »The Mastermind« in die kleinstädtische Welt des ­arbeitslosen Tischlers J. B. ein und macht aus ihm einen ­ironischen Kunsträuber. Ihr Heist-Movie bettet sie ­stilvoll in die 70er Jahre. Reichardt gibt den Nebensächlichkeiten ­einen großen Auftritt und passt so ganz nebenbei die Genre-Elemente der Lebenswirklichkeit ihres Anti-Helden an.

Beeindruckend werden nicht nur die farblosen ­Strickjacken und karierten Hemden der Protagonisten in Szene gesetzt. Die ganz großen Auftritte bekommen die Ami-Schlitten aus der Zeit vor der Ölkrise: Kameramann Christopher Blauvelt, der sich schon in Jonah Hills Regie­debüt »Mid 90s« als Meister des ­Retro-Pictures erwies, findet für die Fluchtautos, einen Ford und einen türkisfarbenen Mittel­klasse-Buick-Wildcat, geradezu ikonische Einstellungen. Der ­jazzige Score von Rob Mazurek begleitet mit leicht ironischen ­Untertönen die aus dem Ruder laufenden ­Ereignisse nach dem Kunstraub. Man fühlt sich sofort an Quentin Tarantinos »Jackie Brown« erinnert.

In den Seventies kam auch das Fast Food auf, das bei Reichardt eine wichtige Rolle als Kinderbeschäftigung spielen darf: Weil die Schule ausfällt, muss J. B. ausgerechnet am Tag des Kunstraubs seine Söhne hüten. Er lenkt sie ab mit einem Ausflug ins Schnell­lokal, wo sie allein vor sich hin mampfen, bis er mit seinem Coup fertig und ihnen speiübel ist. Wie bei Tarantino ist für Kelly ­Reichardt das Heist-Genre auch Pop, Pop noir. 

Kelly Reichardt gibt den  Nebensächlich­keiten einen großen Auftritt

Josh O’Connor (»Challengers«) verkörpert J. B. gewohnt lässig-­verträumt, und natürlich reicht es bei ihm nie ganz, damit aus dem Familienvater ein echter Outlaw wird. Ein fremder Pass gerät ihm durch Zufall in die Hände, er sieht es als Chance, seinen Verfolgern zu entkommen. Die neue Identität kann er aber nur bis zum neuen Anzug denken, den Bart lässt er dran. O’Connor zeigt auch bei ­Reichardt seinen charakteristischen Schauspieler-Mood, niemals mit beiden Beinen in der ­Realität zu stehen, vielmehr im Wissen um eine größere Wahrheit immer auch etwas über den Dingen zu schweben. So hatte ihn ­zuletzt Alice Rohrwacher als ­melancholischen Räuber in »La Chimera« inszeniert. Indem ­Reichardt genau dieses Spiel ­wieder freisetzt, knüpft »The ­Mastermind« auch genial an »La Chimera« an. Auch hier wird ­einem Trugbild nachgejagt: dem eines besseren Lebens. Weil das alte so langweilig war.

Reichardt hat mit den Milchdieben in »First Cow« und der ­verzweifelten Künstlerin in »Showing Up« eine komödiantische Werksphase eingeleitet, die sich in »The Mastermind« überzeugend fortsetzt. Ihr stiller Witz entfaltet auch hier seine ganze Wirkung. Immer ist die umarmende Weltsicht der US-Independent-Ikone zu spüren, deren Sympathien seit jeher den alternativen Lebens­entwürfen gelten. Allmählich drängen so auch die Anti-War-­Demonstrationen der 70er Jahre als Hintergrundgeräusche in den Film — das Politische wird das Genre schließlich einholen und zu Fall bringen.   

USA/UK 2025, R: Kelly Reichardt, D: Josh O’Connor, Alana Haim, Hope Davis, 110 Min. Start: 16.10.