Fragile Kraft
Das Ende als Neustart: Black Country, New Road galten mit ihrem Debüt »For the First Time« (2021) als Inkarnation einer neuen britischen Pop-Avantgarde, die — für die coole britische Szene ungewöhnlich bunt — Jazz, Klezmer, Post-Rock und Art-Pop mit postironischem Pathos vortrug. Aber dann folgte das abrupte Verstummen ihres Sängers Isaac Wood, der die Gruppe mit seinen literarisch überbordenden Texten geprägt hatte. Anfang 2022 verließ er nach vier Jahren und kurz vor Veröffentlichung ihres zweiten Albums »Ants From Up There« die Band — wegen schwerer psychischer Probleme, wie er mitteilen ließ. Normalerweise bedeutet ein solcher Verlust: Auflösung, Eintrag ins Archiv. Black Country, New Road schlugen einen anderen Weg ein.
Seither übernehmen sie abwechselnd den Gesang, man hört in jeder Zeile, dass es nicht mehr um den Ausdruck einer zerrissenen Einzelperson geht, sondern um das tastende Gespräch zwischen mehreren Subjekten. Das ist nicht nur ein ästhetischer, sondern ein eminent politischer Akt: Black Country, New Road zeigen, wie Kollektivität in einer Kultur funktioniert, die vom Fetisch des genialischen Frontmanns lebt.
Das hatte auch für das Songwriting Konsequenzen. Es bedeutet einen Bruch mit dem früheren, an Referenzen überquellenden Stil. Die Songs des neuen Albums »Forever Howlong« (Ninja Tune) öffnen sich, lassen einen größeren Raum. Statt brachialer Überwältigung: fragile Konstruktionen, die riskieren, zusammenzubrechen. Jedes Zögern, jedes Atemholen soll hörbar sein.
Ihre Texte handeln von Freundschaft, Verletzlichkeit, von der Schwierigkeit, Nähe auszuhalten. Das klingt nach Rückzug, ist aber eine Offensive: In einer Gegenwart, in der Popstars im Sekundentakt auf TikTok Aufmerksamkeitsquanten verbrennen, bestehen Black Country, New Road auf Langsamkeit, auf Brüchigkeit und als Band auf einer geteilten Verantwortung für das Ganze.
Black Country, New Road sind weniger eine Band im herkömmlichen Sinne als eine Versuchsanordnung: Was passiert, wenn man das Pathos der Einzelstimme dekonstruiert und durch eine fragile, aber solidarische Vielstimmigkeit ersetzt? Die Antwort ist keine Harmonie, sondern eine Balance: schwierig zu meistern (es gelingt ihnen nicht immer), aber immer der Anstrengung wert. Sie sagen: In unserer Unsicherheit steckt ein Versprechen. Dass Pop mehr sein kann als Event — nämlich ein kollektives Experiment über das, was möglich wäre.
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Di 14.10., Gloria, 20 Uhr