Im Niemandsland
Am 18. Oktober findet im Stadtgarten die zehnte Ausgabe der Night of Surprise (NoS) statt. Man kann sich dieses Festival für aufregende Musik der Gegenwart in Form von Astronautennahrung — Verdichtung der Nährstoffe auf Pillengröße (hier: Festivalprogramm für eine Woche und eine ganze Stadt konzentriert auf eine Nacht und einen Ort) — nicht mehr aus dem Musikkalender der Stadt wegdenken. Es ist so, als begleitete uns das Festival schon seit Ewigkeiten.
Für die Jubiläumsausgabe hat das Kuratorenteam um Thomas Glaesser die Schwarmintelligenz aktiviert: Wen empfehlen Musiker, die bereits auf der NoS gespielt haben? Kurzum: 150 Musiker machten insgesamt 400 Programmvorschläge — für etwa 20 Slots während der NoS.
Das nennt man Qual der Wahl. Machen wir es noch rigider und schauen bloß auf einen Act, dem man aber exemplarisch für die Experimentiereuphorie der NoS nehmen kann: Cara Tolmie & Rian Treanor. Die haben gerade ihr »Body Lapse« (Planet Mu) veröffentlicht, und es ist spektakulär.
Die Stimme stolpert, die Beats haken: Reibung, Aussetzen, Überlagerung. Tolmie, Performancekünstlerin, in Glasgow geboren, in Stockholm arbeitend, hat ein Faible für Körper als Resonanzräume, macht Gesang zu etwas, das sich gegen die Konvention sperrt: Stöhnen, Hauchen, Lachen. Treanor, Sohn aus Rotherham, seit Jahren auf der Suche nach dem Club, der nicht nur Euphorie, sondern auch Friktion produziert, baut dazu Rhythmen, die sich ständig selbst zerlegen. Zwei Ansätze, die sich nicht ergänzen, sondern gegenseitig verunsichern.
Ihre Musik ist schön und unheimlich zugleich. Doch bevor man sich an die Tracks gewöhnt, brechen wieder digitale Splitter herein. Kunst oder Club? Falsche Frage! Die Tracks sind eigentlich zu lang für ein gewöhnliches Konzert und zu widerspenstig für den Dancefloor. Aber gerade in diesem Niemandsland schlagen sie ihre Zelte auf. Es kommt zu Situationen, in denen die Stimme im Lärm ertrinkt, in denen der Beat nur noch Störung ist. Doch darin steckt ihr Programm: kein Konsens, keine beruhigende Harmonie. Stattdessen ein fortgesetztes Missverständnis, das seltsam produktiv wirkt.
Am Ende bleibt ein Album, das nicht einlullt, sondern wach macht: für das Unfertige, das Holprige, das Widerständige. Und genau damit sind sie prädestiniert für die Night of Surprise.
Night of Surprise, Sa 18.10., Stadtgarten, All Area, ab 19 Uhr, Eintritt frei, Programm unter stadtgarten.de